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Feminismus für alle
Der Women’s March in den USA steht immer mehr für eine multiethnische Koalition von Frauen
»Im Jahr 2017 brodelte die Wut in mir, ich habe Parolen gebrüllt, bis ich heiser war, ich war sehr emotional. Dieses Jahr bin ich beinahe schon an die Absurditäten der Trump-Regierung gewöhnt und daran, wie sie tagtäglich Minderheiten in diesem Land angreift«, sagt Rebecca Karam über den Vergleich zwischen dem ersten Women’s March vor zwei Jahren und heute. Zusammen mit ihrem Freund hatte sich die Doktorandin am Samstag auf den Weg gemacht zur nationalen Großdemonstration in Washington, einfach um da zu sein und Solidarität mit anderen Frauen zu zeigen. Die Schlange vor der Schildermalstelle sei ziemlich lang gewesen, irgendwann ergatterte Karam dann doch ein Schild. Auf dem stand schlicht »Revolt«.
Mit Tausenden anderen zog die Soziologin, die in Detroit zu muslimischen Amerikanern forscht, dann die Pennsylvania Avenue hinunter und marschierte dabei auch am »Trump International Hotel« vorbei - dem reckten sich einige Stinkefinger entgegen. Doch neben der Wut über den Sexismus des US-Präsidenten wurden auf der Demonstration auch ein Erfolg feministischer Politik und Organisierung in den USA gefeiert: der Einzug zahlreicher Frauen in das US-Repräsentantenhaus nach den Midterm-Wahlen im November, fast alle von ihnen Demokratinnen. Deswegen die Parole »Welches House? Unser House!«.
Sie habe viele Schilder gesehen, die Rashida Tlaib oder Alexandria Ocasio-Cortez feierten, berichtet Karam gegenüber »nd«. Beide sind Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA) Tlaib ist die erste US-Palästinenserin im Repräsentantenhaus und vertritt dort einen Wahlkreis in Detroit. Ocasio-Cortez istdie jüngste Frau im US-Kongress und in den letzten Wochen zum Social-Media-Star der Linken geworden.
»Es war ziemlich kalt, aber wir haben uns mit Parolen warmgehalten«, erzählt Karam. Mit kaltem Winterwetter hatten auch einige der landesweit über 300 Frauenmärsche zu kämpfen, besonders die im Nordosten der USA und im Mittleren Westen. Auch international gab es Frauenmärsche. Doch dieses Jahr gingen in den USA weniger Demonstrantinnen auf die Straße, auch wegen Antisemitismus-Vorwürfen gegen führende Organisatorinnen wie Tamika Mallory wegen deren Nichtdistanzierung vom Führer der Nation of Islam Louis Farrakhan und dessen antisemitische Äußerungen.
Karam ist genervt davon, der Women’s March sei schließlich nicht der »Tamika-Mallory-March«. Sie meint, die Kontroverse überdecke die Anliegen des Marsches. Das Bemühen alle Religionen einzubinden sei »klar erkennbar« gewesen.
Während linke jüdische Organisationen wie »Jewish Voice for Peace« den Marsch weiterhin unterstützen, zogen sich große liberale Organisationen wie das Democratic National Committee oder Emily’s List zurück. Auch Debbie Wasserman-Schultz, die ehemalige Vorsitzende des Democratic National Committee, die 2016 Hillary Clinton bevorzugt hatte und zurücktreten muste, nachdem das bekannt wurde, erklärte in einem Zeitungsartikel sie könne den Women’s March so nicht mehr unterstützen.
Dahinter sieht die »Occupy-Wall-Street«-Mitbegründerin Winnie Wong ein politisches Manöver zentristischer Demokraten und deren Großspendern. Die »JP Morgan-Feministen« fürchteten einen Machtverlust an eine multi-ethnische Linke, so Wong gegenüber »Jacobin Magazine«.
Die asiatischstämmige Amerikanerin ist Mitbegründerin von »People for Bernie« und sitzt auch im Steuerungskomitee des Women’s Marches. Sie meint, der sei heute diverser als noch 2017 und gliedere den Frauenmarsch zunehmend in eine breitere linke Bewegung ein.
Die »rohe Energie verflüchtigt sich ohne einen Rahmen«, hieß es am Samstag von den Women's-March-Macherinnen zur Vorstellung der »Womens Agenda«. Die Programmschrift wurde zusammen mit Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen verfasst und stellt 24 genauer definierte Politikziele auf.
Grundlage ist ein intersektionales Verständnis von Feminismus, das auch Rassismus und gesellschaftliche Ungleichheit berücksichtigt. Demnach sind etwa schwarze Frauen nicht nur als Frauen, sondern auch als Schwarze rassistisch diskriminiert. Um dem gerecht zu werden, fordert der Women’s March nun auch mit »Medicare for all« eine universale staatliche Krankenversicherung für alle, den Schutz von Migranten oder die Entschädigung für Umweltverbrechen von Konzernen.
Von den Reden auf der Abschlusskundgebung haben Karam und ihr Freund nichts mitbekommen, weil sie sich direkt nach der Demonstration direkt wieder ins Auto gesetzt haben. Die Fahrt nach Detroit dauert acht Stunden. Karam will sich weiter engagieren, auf lokaler Ebene.
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