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Duque beendet Friedensgespräche mit ELN
Kolumbien: Nach Anschlag in Bogotá stehen für den Präsidenten die Täter fest. Doch es gibt viele Ungereimtheiten
»Ich bin unschuldig«, rief Ricardo Carvajal den Journalisten zu, als er am Freitag von Polizisten zum Haftrichter geführt wurde. Den Ermittlungen der Behörden zu Folge hatte Carvajal in einem abgehörten Telefongespräch zugegeben, an dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein, bei dem am Donnerstag in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá ein mit Sprengstoff beladenes Auto vor einer Polizeischule zur Explosion gebracht worden war. 21 Polizeischüler starben, 68 wurden verletzt. Der mutmaßliche Komplize Carvajals und Fahrer des Autos, Jose Aldemar Rojas, kam bei der Explosion ums Leben.
Regierung beschuldigt ELN
Es dauerte nur wenige Stunden, bis Generalstaatsanwalt Nestor Humberto Martinez angebliche Beweise vorlegte, die die ELN-Guerilla mit dem schwersten Attentat in Bogotá seit vielen Jahren in Verbindung bringen. So soll Rojas, auf dessen Namen der Wagen zugelassen war, seit mehreren Jahrzehnten Sprengstoffexperte einer Einheit der ELN im Osten des Landes gewesen sein. Von dort habe er das Auto bis in die Hauptstadt gefahren und für den Anschlag vorbereitet. Diese Indizien reichten nicht nur Martinez und den wichtigen Medien des Landes aus, das Zentralkommando der ELN für den Anschlag verantwortlich zu machen, sondern auch Präsident Iván Duque. Er erklärte die auf Kuba stattfindenden Friedensgespräche mit der marxistischen Rebellengruppe am Freitagabend für beendet. »Es reicht, Herren von der ELN!«, sagte er und kündigte deren stärkere Verfolgung an.
Anders als bei vorherigen Anschlägen jedoch, die auf das Konto der ELN gingen, hat diese sich bislang weder zu dem Attentat geäußert noch bekannt. Wichtige Twitteraccounts der Organisationen waren kurz nach dem Anschlag auf Antrag der kolumbianischen Regierung gesperrt worden. Auch deshalb bezeichneten zahlreiche Kommentatoren den Schritt des Präsidenten als voreilig und wiesen auf Ungereimtheiten bei den von den Ermittlungsbehörden ungewöhnlich schnell vorgelegten Ergebnissen hin. »Die Versionen der Augenzeugen unterscheiden sich teils erheblich von der offiziellen Version. Außerdem gehörte es bislang nicht zum Modus Operandi des ELN, dass ein Mitglied mit Originaldokumenten und einem auf seinen Klarnamen zugelassenen Auto arbeitet«, sagte der politische Analyst Victor Currea Lugo gegenüber »nd«. Zudem würden weder die ELN, noch andere bewaffnete Gruppen, die für die Tat in Frage kämen, Selbstmordanschläge verüben. »Das kennen wir in Kolumbien bislang nicht.«
Verhandlungen ohne Fortschritt
Das Attentat von Bogotá beendet einen Friedensversuch, der von Beginn an im Krisenmodus war. Die Gespräche hatten 2017 noch unter der Regierung Juan Manuel Santos’ zunächst in Ecuador begonnen und waren vergangenes Jahr in die kubanische Hauptstadt verlegt worden. Kuba fungierte neben Norwegen, Venezuela, Chile und Brasilien als Garantiestaat. Anders als bei Friedensverhandlungen mit der FARC (2012 bis 2016) hatte es jedoch kaum inhaltliche Annäherungen oder gar konkrete Fortschritte gegeben. Seit der Amtsübernahme Duques im August vergangenen Jahres hatten die Gespräche dann vollends auf Eis gelegen.
Der nun erfolgte Schritt, die Gespräche abzubrechen, könnte für Spannungen in der Region sorgen. Dies gilt für das schwierige Verhältnis mit Venezuela, dem Kolumbien vorwirft, Guerilleros zu dulden, ebenso wie für das Verhältnis zu Kuba. Die Aufforderung der kolumbianischen Regierung an Havanna, die Mitglieder der ELN-Delegation festzunehmen und auszuliefern, sorgt bereits jetzt für Dissens. Der kubanische Außenminister Bruno Rodriguez sagte, man werde sich strikt an die Protokolle halten, die beide Verhandlungsparteien vor Gesprächsbeginn für den Fall eines Scheiterns unterzeichnet hatten. Diese sehen vor, dass ein befreundeter Drittstaat für die sichere Rückkehr der Guerilleros auf kolumbianisches Territorium sorgt. Die kolumbianische Regierung hingegen sieht sich nicht an diese Protokolle gebunden, da sie nicht mit ihr, sondern mit der Vorgängerregierung beschlossen worden seien. »Wir haben nie an diesem Verhandlungstisch gesessen«, sagte Präsident Duque.
Appelle an Deutschland
Vertreter sozialer Bewegungen fürchten unterdessen eine neue Eskalation des Krieges, dessen Intensität seit dem Friedensschluss mit der FARC abgenommen hatte. Es sei zu befürchten, dass die Arbeit politischer Aktivisten noch stärker stigmatisiert, verfolgt und kriminalisiert werde, sagte Juan Houghton von der Bewegung Congreso de los Pueblos dem »nd«: »Es ist ein Szenario zu erwarten, in dem nicht der Frieden, sondern der Krieg gegen den inneren Feind wieder im Mittelpunkt steht.« Deutschland und andere Mitglieder der internationalen Gemeinschaft müssten nun darauf achten, alternative Akteure in Kolumbien nicht aus den Augen zu verlieren.
Das Auswärtige Amt, dessen Sonderbeauftragter Tom Koenigs (Grüne) die Gespräche begleitete, hat sich bislang nicht geäußert. Heike Hänsel von der LINKEN forderte die Bundesregierung auf, »in ihren Bemühungen nicht nachzulassen und sich weiter für eine Fortsetzung der Verhandlungen in Havanna einzusetzen«.
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