Sokrates und die Schweine

Zum Tod des Schriftstellers und Journalisten Horst Stern

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Er hat die Entmutigung geadelt, ohne ihr zu unterliegen. Er konnte ein Lächeln aufsetzen, das von den Menschen wegging, sich aber doch um den Weltraum zu ziehen schien.

Horst Stern schuf den Romanhelden Klint. «Der ging selten Beziehungen ein, die durch anderes am Leben erhalten werden mussten als durch das Wechselspiel von Fragen und Antworten und den Austausch der Argumente.» Klint ist den Kreaturen und der Natur weit näher als jener vermaledeiten Leute-Kultur, die Bewahrung sagt, aber mit fataler Leidenschaft nur immer - bewirtschaftet. Klint ist ein Tragiker auf dieser Erde, und Stern, sein Erfinder, war ein Pionier der deutschen Wissenschaftspublizistik. «Die einzige Arbeit der Wahrheit besteht darin, müde zu werden; sobald man aufhört, an bestimmten Leuten zu leiden, hört man zu leben auf», sagte er über die Welt. Und über seinen Klint schrieb er: «Er ist so etwas wie eine Hochrechnung meiner Ängste.» Ängste, die um die Enkelkinder kreisen: «Sie werden auf einer gefährlich erkrankten Erde leben.»

Er war einer der besten Journalisten des Fernsehens. Ein Aufklärer. Seine Bücher trugen pfiffige Titel wie «Lauter Viechereien» (1957) oder «Gesang der Regenwürmer» (1967). In den siebziger Jahren begeisterte er mit «Sterns Stunde». Das waren faszinierend unsentimentale, bis dahin nicht erlebte TV-Lektionen etwa über Spinnen oder Schweine, die «erst der Mensch seelisch und körperlich zur Sau gemacht hat».

Sterns erste Universität war ein Obstgarten, den er nach dem Krieg pachtete, um Laubfrosch und Rabe zu beobachten. Im Tierfreund legte er den Verklärer bloß, im Züchter die Herrscherseele. Zur besten Weihnachts-Sendezeit sagte er solche Sätze: «Man rettet den deutschen Wald nicht, in dem man ›O Tannenbaum‹ singt.»

Er essayierte und reportierte so klug wie verständlich über die Beziehung zwischen Menschen und Tieren, über die Pervertierung der Jagd. Auch über die Bambi-Mentalität und den «Edelkitsch», der rund ums Pferd betrieben wird. Als er Tierversuche kritisch zum Thema erhob, aber doch den moralischen Konflikt nicht ausließ, der solche Experimente immer wieder auch nötig macht, hatte er die Grenze den Fernseh-Möglichen berührt. Fortan gab es immer weniger Raum für Widersprüchlichkeit und Komplexität, doch «ein Peter Alexander der zoologischen Unterhaltung wollte ich nicht werden».

So endete 1980 seine Fernsehkarriere. Konsequenz eines Charakters. So wie er als junger Redakteur der «Stuttgarter Nachrichten» einen hochrangigen besoffenen Verkehrsrowdy (SPD) bloßstellen wollte, aber die Story am politischen Proporzdenken der Chefredaktion scheiterte. In der Redaktionskonferenz ein Wutanfall nach Art des Klaus Kinski. Und: Entlassung. Wie später auch als Chefredakteur des Magazins «Natur», das er 1980 gegründet hatte: zu hohes Denk- und Sprachniveau. Im Roman «Klint» findet sich 1993 das Urteil über den modernen Journalismus, «diese Vulgarität gedankenarmer Sätze, die sich meist auch noch an einer Interpunktion verschlucken». Und die Redakteure? Agenten der Ablenkung, «mutlos geworden im langen Sklavendienst an Lesern und Verlegern, bucklig geschliffen vom Strom trivialer Texte, der über sie hingeht». Am schlimmsten seien die gewollt Witzigen, «die über alles das grobkörnige Gift ihrer immer etwas schwitzigen Distanz kippen.»

Der gelernte Bankkaufmann, 1922 in Stettin geboren, Mitbegründer ökologischer Initiativen (mit Konrad Lorenz, Bernhard Grzimek), zog nach Irland, kehrte erst spät nach Deutschland zurück. Schrieb Literatur. Flucht? Zum Studium der Vorsokratiker kommt man nicht über die Beteiligung am Geschreigeschäft des Tages. Resignation? Typisches Abstempeln. Als sei es Resignation, wenn ein Mensch endlich so lebt, wie man leben sollte: kontemplativ, gedankensuchend. Vor allem: aufrecht enttäuscht. «Ich habe mit meiner Arbeit kein einziges Huhn aus dem Käfig gebracht.» In Boschs «Garten der Lüste» sah er das ökologische Menetekel. Und Klint, der Wahnkluge, reitet auf einem Kentauren durchs griechische Arkadien - ein apokalyptischer Galopp entlang der Abgründe einer Welt, die sich selbst zum Tode verurteilt hat.

Horst Stern war ein Altvorderer aus der Zeit, da es noch Erkenntnisinteresse gab. Nach allen Seiten hin und nicht nur entlang der eigenen Kleinzäune. Nun ist er im Alter von 96 Jahren in der Nähe von Passau gestorben.

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