Weil. Ich. Es. Kann.

Roberto J. De Lapuente über Rasen, Böllern und Fleischkonsum

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich bekenne. Ich habe in der Nacht von Silvester auf Neujahr eine kleine Tüte mit Raketen besessen und deren Inhalt in den Himmel gejagt. Zwölf Raketen waren es – und einige Knaller. Wir standen zusammen in der Dunkelheit und haben es getan. Keine Ahnung warum, es machte nicht mal sonderlich Spaß.

Tage zuvor war ich noch für das Böllerverbot der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Ich bekenne weiter, dass ich zwar selbst kein Auto besitze, mir aber hin und wieder eines ausleihe, Richtung Zielort auf die Autobahn fahre und dort auch mal mit 180 Sachen rase. Dass ich für ein Tempolimit bin, mag an dieser Stelle paradox wirken. Noch ein letztes Bekenntnis: Ich esse gerne Fleisch. Ehrlich gesagt am liebsten täglich. Und das, obwohl ich weiß, wie die Fleischproduktion Klima und Umwelt belastet.

Ganz schön verlogen, oder nicht? Mir ist das Dilemma ja auch selbst bewusst. Der Geist mag willig sein, aber das Fleisch schwächelt. Warum ich wider besseren Wissens so handle? Ganz einfach: weil ich es kann! Dieses »Weil ich es kann!« war mal eine Modeantwort auf lästige Warum-Fragen. Sie offenbarte Gleichgültigkeit gegenüber der Fragestellung und tat so, als müsse man Motive gar nicht berücksichtigen. Wenn ich antworte, dass ich es tue, weil ich es kann, meine ich es anders. Ich meine es wörtlich, denn man kann Falsches tun, weil einen Niemand daran hindert.

Dies halte ich für das eigentliche Problem. Im politischen Diskurs hat sich seit Langem ein Geist der Beschwörung breitgemacht, der Bewusstsein schaffen will, aber der Überzeugung ist, der Mensch sei schon von alleine vernünftig genug, um richtig zu handeln. Grenzwerte, Gesetze, Verbote oder »Steuern mit der Steuer«: Das hält man allerdings für unnötig, ja überzogen. Man könne doch nicht dauernd neue Regeln aufstellen, Veränderung muss aus den Leuten selbst kommen.

Immer wenn diese Logik in die politische Diskussion eingeführt wird, hat sie genau diese politische Schiene verlassen und mündet in eine seichte Feel-Good-Esoterik. Bewusstmachung ist zwar wichtig, um den Menschen fehlerhaftes, weil schädliches Verhalten sichtbar zu machen. Dann aber zu glauben, dass dieses durch Aufklärung erweiterte Bewusstsein schon ausreiche, um den eigenen Lebensentwurf umzubauen, ist mehr als naiv.

Eigentlich ist diese Haltung sogar ignorant und zeugt davon, dass man die conditio humana, in der eben auch angelegt ist, dass der Mensch zuweilen ein sich bewusst selbstschädigendes Wesen ist, überhaupt nicht auf dem Schirm hat. Meine Person ist ein gutes, weil schlechtes Beispiel dieser These: Ich würde sicherlich nichts von dem, was ich anfangs bekannte, auf diese Weise halten. Aber eben nur, wenn ich es nicht könnte, nicht dürfte.

Wenn Böller eben steuerlich unattraktiv gehalten würden und die Straßensäuberung in Rechnung gestellt werden könnte: Welcher Teufel ritte mich denn dann noch, in einer kalten Nacht Raketenstiele in eine leere Flasche zu stecken und doof zu gucken, wenn das Ding abhebt? Das lohnte doch gar nicht. Nicht anders beim Rasen: Tempolimit 130 hätte ich gerne, da läuft alles intakter, Stauaufkommen werden eher vermieden – warum sollte ich da 180 Sachen auf den Tacho bringen? Zumal das ja teuer würde.

Auch beim Fleischkonsum sehe ich es so. Wenn die Verursacherkosten der Fleischproduktion weiterhin sozialisiert werden können, nicht den Verbraucher angerechnet werden, darf man sich nicht wundern, dass kostengünstiges Fleisch einen hohen Konsum fördert. Solange Gemüse vom Markt teurer ist als Fleisch aus dem Discounter, kann man den Leuten noch so umtriebig die falschen Abläufe bewusst machen wollen, sie greifen am Ende doch zum günstigeren Produkt.

Diese Staatsverdrossenheit, zu glauben, dass man keine Grenzen vorgesetzt bekommen möchte, weil der Mensch an sich ja ein vernünftiger Geselle sei, ist völliger Nonsens. Ohne Gesetzgeber und eine intelligente und mutige Steuerpolitik, ohne Rahmenbedingungen, die nicht freiwillig auferlegt, sondern verbindlich exekutiert werden, ändert sich nie etwas. Freiwilligkeit ist keine Alternative – sie ist das Feigenblatt, alles beim Alten weiterlaufen zu lassen, während man nett darüber parliert, dass man es ja eigentlich besser weiß.

Ich habe allerdings bis dato immer noch anerkennend genickt, wenn ich auf der Autobahn eines dieser Schilder las, auf dem es heißt »Fuß vom Gas!« - richtig so, denke ich mir dann immer, man muss es den Leuten deutlich machen, diese Raserei ist ein Übel. Und während ich das so bei mir denke, steht mein Fuß starr auf dem Gaspedal. Nur die Aussicht, dass es teuer wird, wenn ich nicht vernünftig handle, ließe meinen Fuß wohl wirklich schwächeln.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Mehr aus: Der Heppenheimer Hiob