»Eine Epoche des Glücks«

Bei einer großen Wahlveranstaltung kürte sich Julia Timoschenko zur Präsidentschaftskandidatin in der Ukraine

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

»Diesmal soll es endlich klappen«, hoffen die Mitglieder der Vaterlandspartei einstimmig. An diesem Dienstagmorgen ist der große Kiewer Sportpalast noch überwiegend leer. Der Saal füllt sich erst, als Julia Timoschenko mit ihrer 130-minütigen Wahlrede beginnt.

Mit ihrer Nominierung als Präsidentschaftskandidatin möchte Julia Timoschenko, zweifache Ministerpräsidentin der Ukraine, ein Zeichen setzen. Nicht umsonst hat sie für den Nominierungsparteitag ihrer Vaterlandspartei ausgerechnet den 22. Januar, den Tag der ukrainischen Einheit, gewählt, der in diesem Jahr auch auf ein großes Jubiläum hinweist. Exakt vor 100 Jahren, am 22. Januar 1919, vereinigte sich die Ukrainische Volksrepublik mit der Westukrainischen Volksrepublik. Veranstaltungsort ist der Kiewer Sportpalast, mit einer Kapazität von 10 000 Zuschauern ist es die größte Halle der Ukraine. Diese scheint der derzeitigen Favoritin für die Wahlen am 31. März gerade recht für ihre Kür zur Präsidentschaftskandidatin. Das Motto ist ebenso aussagekräftig: »Ich glaube an die Ukraine.«

Die 58-jährige Timoschenko hat in ihrer langen politischen Laufbahn so gut wie alles erlebt. Um das Jahr 2000 war sie Vizepremier für Energiefragen, nach der orangenen Revolution wurde sie als erste Frau zur Ministerpräsidentin ernannt. Während ihrer zweiten Amtszeit auf diesem Posten unterzeichnete sie im Jahr 2009 einen Gasvertrag mit Russland, der als ungünstig galt. Dafür wurde Timoschenko schließlich während der Präsidentschaft des später nach Russland geflohenen Wiktor Janukowitschs hinter Gitter geschickt. Freigelassen wurde sie erst am Ende der Maidan-Revolution im Februar 2014. Bereits zweimal kandidierte sie vergeblich für das Präsidentschaftsamt: 2010 verlor sie in der Stichwahl gegen Janukowitsch - und vier Jahre später kam sie nicht einmal auf dreizehn Prozent der Stimmen, während Petro Poroschenko souverän im ersten Wahlgang gewann.

Der Parteitag wirkt perfekt orchestriert, Timoschenko gilt schon immer als eine Meisterin der Politshow. Selbstverständlich wird die Nominierungsentscheidung einstimmig getroffen. Doch es gibt eine Ausnahme: Patriarch Filaret, das Oberhaupt der ukrainisch-orthodoxen Kirche, bedankt sich in seiner Ansprache ausgerechnet beim amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko, dem wohl wichtigsten Konkurrenten Timoschenkos. Die Gründung der vereinten orthodoxen Kirche der Ukraine hat die Spannungen zwischen Moskau und Kiew verschärft. Die Eröffnung der Wahlveranstaltung durch Filaret dürfte ein Zugeständnis Timoschenkos an das kirchliche Lage gewesen sein.

Doch obwohl die Begrüßung Filarets für bemerkbares Lächeln sorgt, ist allein die Anwesenheit des Patriarchen ein großer Sieg für Timoschenko. Mit seinem Wahlslogan »Armee, Sprache, Glauben« wirbt Poroschenko um starken Rückhalt in Armee und Kirche. Filarets Auftritt macht jedoch deutlich, dass Timoschenko dem Präsidenten das Feld nicht so einfach überlassen möchte. Zum Höhepunkt ihrer Rede treten Veteranen des Donbass-Krieges auf die Bühne, die sich für eine Unterstützung Timoschenkos aussprechen. Diese zeigt sich von ihrer persönlichen Seite und umarmt jeden Einzelnen. Zwar verzichtet die 58-Jährige auf eine direkte Kritik an Poroschenko, ihre Kritik dürfte aber angekommen sein: »Ich diene der Ukraine, nicht den Malediven oder den Off-Shore-Accounts.« Damit spricht sie die vielen Skandale um den teueren Malediven-Urlaub sowie die Panama-Papers an, in die Poroschenko verwickelt ist. Doch abgesehen von dem Filaret-Fauxpas fällt der Name Poroschenko auf dem Parteitag nur noch ein weiteres Mal. Michail Saakaschwili, der vom Präsidenten ausgebürgerte Ex-Gouverneur des Gebiets Odessa und selbst ernannte Korruptionskämpfer, tönt in einer Videobotschaft: »Poroschenko und seine Bande müssen weg.«

Timoschenkos klassischer Pathos und dazu passende Tränenaugen, als sie über ihre Haftzeit und die Unterstützung ihrer Familie spricht, stellen ihr eigentliches Wahlprogramm ein wenig in den Schatten. Der sogenannte »Neue Kurs für die Ukraine« fordert eine Verfassungsreform, über die gleich nach dem vermeintlichen Sieg der Ex-Ministerpräsidentin in einem Referendum abgestimmt werden soll. Dieses sieht unter anderem die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität vor. Auch die Anzahl der Parlamentarier möchte sie von 450 auf 350 reduzieren. Außerdem fordert Timoschenko den sofortigen NATO-Beitritt und verspricht, innerhalb eines Monats den Gaspreis für die Bevölkerung zu halbieren. »Die Ukraine hat genug gelitten. Nun beginnt die Epoche des Glücks«, kündigt Timoschenko an.

Zwischen 13 und 18 Prozent sind mittlerweile bereit, die frisch gekürte Kandidatin der Heimatpartei zu wählen. Dass sie mit diesen Werten in allen Umfragen vorne liegt, spricht angesichts ihres ähnlichen Wahlergebnisses im Jahr 2014 nicht dafür, dass Timoschenko in der Zwischenzeit viele neue Anhänger gewonnen hat. Dennoch scheint ihr Sieg immer wahrscheinlicher - und Petro Poroschenko muss am 5. Februar erst einmal eine vergleichbar starke Nominierung hinkriegen, was gewiss nicht einfach sein wird.

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