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Der Paragraf 219a heißt Stigma und Tabu

Das anderthalbseitige Papier der Regierung ändert wenig / Für Samstag sind bundesweit »Pro-Choice«-Proteste geplant

  • Kersten Artus
  • Lesedauer: 4 Min.

In Berlin, Dresden, Hamburg, Frankfurt am Main, München und und vielen anderen Städten protestieren Menschen diesen Samstag gegen den Paragrafen 219a Strafgesetzbuch.

Dieser verbietet Ärzten, auf ihren Internetseiten darzustellen, ob Schwangerschaftsabbrüche zu ihrem Leistungsspektrum gehören. So werden ungewollt Schwangere darin behindert, sich Informationen zu beschaffen - etwa darüber, welcher Arzt Abbrüche vornimmt und nach welcher Methode. Über 150 000 Menschen hatten 2017 einen Aufruf der Ärztin Kristina Hänel unterzeichnet, mit dem sie uneingeschränkte Informationsrechte forderte - die Petition ist nun erneut online.

Verbotene Informationen

Nicht öffentlich mitteilen dürfen Ärztinnen und Ärzte beispielsweise die folgenden Fakten:

Für den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft sind zwei Methoden besonders verbreitet. Die eine Möglichkeit ist der medikamentöse Abbruch, der in Deutschland nur bis zum 63. Tag nach der letzten Regel erlaubt ist, obwohl er theoretisch länger möglich ist. Dabei wird das Schwangerschaftshormon Progesteron durch ein künstliches Hormon blockiert. Nach der Einnahme des Wirkstoffs Mifepriston kommt es zu einer Blutung und zum Schwangerschaftsabbruch. Zudem erweicht und öffnet sich der Gebärmutterhals. Rund 36 bis 48 Stunden nach der Einnahme muss bei einem zweiten Arztbesuch ein Prostaglandinpräparat eingenommen werden. Das soll die Ausstoßung des Schwangerschaftsgewebes fördern, die Blutungsdauer senken und die Wirksamkeit des Mifepristons erhöhen. Nebenwirkungen können Unterleibsschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sein. In circa ein bis vier Prozent der Fälle versagt die Methode. Abgeraten wird von der Methode unter anderem bei einer Eileiterschwangerschaft, bei Asthma oder Nierenproblemen.

Der andere Weg, eine Schwangerschaft zu beenden, ist der instrumentelle, also chirurgische Eingriff. Dieser kann mit örtlicher Betäubung ebenso wie unter Vollnarkose durchgeführt werden. Die in diesem Fall gebräuchlichste und schonendste Methode ist die Absaugmethode auch Vakuumaspiration genannt. Dabei wird der Gebärmutterhalskanal mit Metallstäbchen erweitert. Dann wird ein dünnes Röhrchen, das mit einem Absauggerät verbunden ist, durch den Muttermund in die Gebärmutterhöhle eingeführt. Damit werden die Schleimhaut und die Fruchtblase abgesaugt. Der Eingriff dauert fünf bis zehn Minuten, das heißt, die Patientinnen können bereits nach ein bis zwei Stunden wieder nach Hause gehen. Blutungen und Bauchschmerzen nach der Behandlung sind normal, treten jedoch nicht bei allen Frauen auf. In wenigen Fällen kommt es zu Nachblutungen oder Entzündungen, die im Allgemeinen gut behandelt werden können. Seltener wird auch die als veraltet geltende Ausschabung (Curettage) durchgeführt, bei der Schleimhaut und Fruchtblase mit Instrumenten abgetragen werden.

Hänel war damals von einem Abtreibungsgegner angezeigt worden, weil sie solche Auskünfte im Netz bereit gestellt hatte. Die Gießenerin war folglich zu 6000 Euro Strafe verurteilt worden. Die zweite Instanz bestätigte die Entscheidung. In der Urteilsbegründung hieß es aber auch: Der Gesetzgeber sei für eine Neuregelung zuständig und nicht das Gericht.

So sehen das auch die Aktiven der »Pro-Choice-Bewegung«, wie sich die Protestierenden gegen 219a nennen, die diesen Samstag ihre Unzufriedenheit auf die Straße tragen. »Wenn die Bundesregierung die Stimmen der Expert*innen, Beratungsstellen, der Ärzt*innen, der Betroffenen und der Bevölkerung ignoriert, muss sie mit Widerstand rechnen«, sagt Dr. Ines Scheibe, die Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung.

Ein Dreh- und Angelpunkt im Konflikt um 219a ist die SPD-Bundestagsfraktion. Sie ist wie Grüne, FDP und LINKE zwar eigentlich für die Abschaffung von 219a - so dass es dafür eine klare Mehrheit im Parlament gibt. Einen entsprechenden Antrag der Fraktion hatte SPD-Chefin Andrea Nahles aber in letzter Sekunde vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrages im März 2018 zurückgezogen. Seitdem brodelt es in der Partei. Jungsozialisten wie auch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen bestehen darauf, dass die SPD-Fraktion sich an ihre eigene Beschlusslage hält. Dennoch legte eine Verhandlungsgruppe der Bundesregierung Ende 2018 ein anderthalbseitiges Eckpunktepapier vor, laut dem lediglich eine Reform des strittigen Paragrafen vorgesehen ist. Danach sollen Praxen zwar das Wort »Schwangerschaftsabbruch« auf ihren Internetseiten erwähnen dürfen, aber ohne Details. Stattdessen sollen sie auf staatliche oder staatlich beauftragte Stellen verweisen. Mit ausgehandelt haben das die SPD-Frauen Familienministerin Franziska Giffey und Justizministerin Katarina Barley.

In der SPD-Fraktion herrscht seitdem großes Schweigen zu diesem Thema - was auch mit den im Mai anstehenden Europawahlen und der Rolle von Barley als SPD-Spitzenkandidatin zu tun haben dürfte. Ihre Position könnte dem Vernehmen nach beschädigt werden, wenn die Debatte um den 219a nicht vor Beginn des EU-Wahlkampfes beendet werde. Dass der SPD weitere Stimmen verloren gehen könnten, wenn sie die Interessen von Frauen aufgibt, will im Willy-Brandt-Haus offenbar niemand einsehen - bislang zumindest nicht.

Warum statt eines faulen Kompromisses 219a gestrichen werden muss, begründen die Aktivistinnen vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung so: »Die Maßnahmen tragen weder der Situation von Ärzt*innen, Beratungsstellen noch von ungewollt Schwangeren Rechnung.« Stattdessen gebe man den Interessen fanatischer Abtreibungsgegner nach. »Das trägt weiter zur Stigmatisierung und Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei.«

Als »niveaulose Nullnummer« hatte auch Kristina Hänel das Eckpunktepapier kommentiert. Die Ärztin könne nicht glauben, dass die Sozialdemokratie sich so verkaufe. Ein besonderes Ärgernis an dem Papier ist aus ihrer Sicht die Passage, laut der »mit einer wissenschaftlichen Studie Informationen zur Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaften« gewonnen werden sollen. Weil es dazu bereits ausreichende Erkenntnisse gebe. So wurde festgestellt, dass 95 Prozent der Frauen auch drei Jahre nach einem Schwangerschaftsabbruch sicher waren, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Eine weitere Studie kommt zudem zu dem Ergebnis, dass negative Gefühle unmittelbar nach dem Schwangerschaftsabbruch »in Zusammenhang mit einer erlebten oder befürchteten gesellschaftlichen Stigmatisierung« gestanden hätten. »Hier haben sich die fundamentalistischen Abtreibungsgegner aus der CSU durchgesetzt«, moniert die Hänel. Sie fordert die Bundesregierung auf, endlich ein flächendeckendes Versorgungsnetz zu garantieren, damit ungewollt Schwangere in Wohnortnähe Abbrüche vornehmen lassen können. Denn in immer mehr Landstrichen, aber auch in einigen Städten gibt es keine Praxen mehr, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Um rund 40 Prozent soll deren Zahl seit 2003 bundesweit zurückgegangen sein.

Unterdessen setzen sich Grüne, FDP und LINKE weiterhin für die Informationsrechte von Ärztinnen und Frauen bei ungewollten Schwangerschaften ein. Auch eine Reihe von Bundestagsabgeordneten wird an diesem Samstag auf den Kundgebungen und Demonstrationen sprechen. Vereinzelt haben sich auch SPD-Mitglieder als Rednerinnen angekündigt. So die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Gabriele Dobusch. Es gibt also immer noch ein bisschen Hoffnung.

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