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Alles nur »Geschichte«
Die Bundesregierung verfolgt kaum konkrete Pläne zur Aufarbeitung kolonialen Unrechts
»Ohne Erinnerung keine Zukunft - zum demokratischen Grundkonsens in Deutschland gehören die Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur, der deutschen Kolonialgeschichte, aber auch positive Momente unserer Demokratiegeschichte.« So heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2018. In Bezug also auf das koloniale Unrechtssystem von Terror oder Unterdrückung keine Spur. Es ist einfach - Geschichte. Davon rückt die Bundesregierung auch in der Antwort vom 16. Januar auf eine kleine Anfrage der Linkspartei nicht ab: Der Kolonialismus bleibt erinnerungspolitisch gesehen zweitrangig.
Es mag mühsam zu lesen sein, wenn die Linkspartei nun kleinteilig für jede der ehemaligen deutschen Kolonien einzeln nachfragt, wie die Bundesregierung sicherstellen will, dass die Aufarbeitung der deutschen Kolonialherrschaft in der kulturellen Bildung sichergestellt werden soll. Und zwar in Bezug auf die deutsche Kolonialherrschaft, aber auch auf die gegenwärtigen Nachwirkungen der Ausbeutung und Unterdrückung. Doch das kann auch ein Versuch sein, das Narrativ vom »unschuldigen« - weil kleinen und kurzen - deutschen Kolonialismus zu durchbrechen. Denn: die damaligen deutschen Kolonien liegen partiell auf den heutigen Territorien von Tansania, Burundi, Ruanda, Kamerun, Kongo, Nigeria, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Gabun, Togo, Ghana, Kenia, Somalia, China, Papua-Neuguinea und Samoa.
In ihrer Antwort verweist die Bundesregierung lediglich auf Publikationen der Bundeszentrale für Politische Bildung. Sie fördere generell die kulturelle Bildung, sei dabei jedoch nicht für die Inhalte zuständig. Doch solange es keine Gedenkstätten zum Kolonialismus gibt, können die Institutionen auch kaum umfangreiche kulturelle Bildung auf diesem Gebiet leisten. Hier wäre also die Bundesregierung gefragt. Doch die vertröstet mit Initiativen vom Bundestag als bewährte Methode.
»Nichts als heiße Luft« sei in diesem Zusammenhang auch »die ständige Thematisierung von Restitutionen im Kontext der Kolonialzeit durch die Bundesregierung« ohne nennenswerte Handlungen - so Brigitte Freihold, die erinnerungspolitische Expertin der Linkspartei im Bundestag.
Dies hat sich im letzten Jahr besonders deutlich anlässlich der Gedenkveranstaltungen zum Ende des Ersten Weltkriegs gezeigt. Denn dass damit auch die deutsche Kolonialherrschaft erzwungenermaßen ein Ende fand, wurde nur am Rand thematisiert. Und das, obwohl mit dem ersten Weltkrieg die Machtkämpfe der Kolonialmächte untereinander auch physisch in die »kolonialen Metropolen« Europas kamen.
Etwa in Wünsdorf, südlich von Berlin, wo während des ersten Weltkriegs das »Halbmondlager« für kriegsgefangene muslimische Araber, Inder und Afrikaner aus der britischen und französischen Armee errichtet wurde. Die Gefangenen dort sollten zum Kampf gegen »ihre« Kolonialmacht mobilisiert werden. Wie viele Menschen konkret aus den damaligen deutschen Kolonien im Zusammenhang mit dem ersten Weltkriegs rekrutiert und eingesetzt wurden, bleibt eine von vielen Unbekannten in der Erklärung der Bundesregierung.
Abgesehen von der immer noch ausstehenden offiziellen Entschuldigung Deutschlands, zeugen auch die Besitzverhältnisse in Namibia von der Kolonialherrschaft. Laut Namibia Statistics Agency befinden sich 70 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Landes im Besitz weißer Farmer. Dies wurde von Vertreter*innen des Nama Genocide Technical Committee und der Ovaherero Genocide Foundation immer wieder adressiert. Doch kaum gehört, denn die Bundesregierung verhandelt zwar seit 2015 mit der namibischen Regierung, aber unter Ausschluss bestimmter Betroffenenvertretungen.
Auf der zweiten nationalen Landkonferenz Namibias im Oktober 2018 wurde nun auch über Enteignungen ausländischer Farmer verhandelt. Außerdem will man herausfinden, welche Gemeinschaften angestammtes Land von welcher Größe und innerhalb welcher Grenzen verloren haben. Damit geht die Frage nach Restitutionen und alternativen restaurativen Maßnahmen einher. Ein entscheidender Beschluss ist, die Reparationen der früheren Kolonialmächte für diese Zwecke zu nutzen. Doch die gibt es - zumindest von deutscher Seite - bislang gar nicht. Und von klaren Antworten ist man in der Bundesregierung weit entfernt. Nur soweit: Eine Übertragung der Wiedergutmachung von NS-Unrecht auf andere historische Sachverhalte schließt sie kategorisch aus. Eine politische und juristische Aufarbeitung des kolonialen Unrechtsregimes rückt damit in weite Ferne.
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