• Kultur
  • Die Goldenen Zitronen

Meinen Sie?

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Gute an der linken Hamburger Popband Die Goldenen Zitronen ist, dass es sie noch gibt. Man hat ja heutigentags gelernt, schon für wenig dankbar zu sein: zum Beispiel dafür, dass sich noch eine Handvoll Künstler im Land herumtreibt, die einen Blick in die Werke Brechts oder Benjamins geworfen haben, die vielleicht überhaupt schon einmal ein anderes Buch als »Das geheime Leben der Bäume« oder »Darm mit Charme« gelesen haben (oder überhaupt ein Buch), die möglicherweise sogar noch einen Begriff von Kritik haben und nicht von vornherein mit ausnahmslos allem einverstanden sind.

Die Zitronen, die sich in ihrer mittlerweile über 30 Jahre währenden Karriere als Nichteinverstandene schon frühzeitig sowohl vom geistverlassenen, identitären Mitbrüll- und Parolenpunkrock verabschiedet haben als auch von einer gewissen Geschmeidigkeit im Soundbild, wie sie im Popgeschäft erwartet wird, sind immer noch eine Ausnahme: Zu ihrem Handwerkszeug gehört linke politische Theorie ebenso wie Sarkasmus, Ironie, Agitprop und das produktive Spiel mit Zitaten; sie haben eine Ahnung von dem, was Dialektik bedeutet; mit und in ihrer Musik üben sie linke Gesellschaftskritik ebenso selbstverständlich wie Kritik an den Widersprüchen der Linken; die Erwartungen ihres Publikums enttäuschen sie gezielt im selben Ausmaß, wie sie diese bedienen; sie ignorieren tapfer temporäre Moden und »Trends« und bauen stattdessen ihr eigenes, selbstgeschaffenes ästhetisches Modell aus. Vermutlich gehören sie zu den letzten noch Verbliebenen in dieser Gesellschaft, die nicht »Identität stiften«, die Wirtschaft stärken, Deutschland »zukunftsfähig« machen oder einen ähnlichen Mumpitz wollen.

Auf ihrem neuen Album »More than a Feeling« kommentieren sie in gewohnter Weise das gegenwärtige Stadium des zivilisatorischen Niedergangs, den wir erleben: den von der Straße bis in die Parlamente reichenden rassistischen Normalzustand, das völkische Dauergelaber und -gejohle aus nahezu sämtlichen Medienkanälen, die wachsende Verblödung des sogenannten Wutbürgers, die fortwährende Verschärfung bzw. Optimierung bestehender Ausbeutungsverhältnisse, die beständige Zurichtung und Dressur der Auszubeutenden zu erloschenen Arbeitskraftspendern.

In dem Song »Die alte Kaufmannsstadt, Juli 2017« beispielsweise unternimmt man eine lustige, nach allen Seiten kräftig austeilende Analyse des G20-Gipfels in Hamburg, der zugehörigen Gegenproteste und der vorhersehbaren Medienberichterstattung.

An anderer Stelle etwa wird das nicht enden wollende »Wir«- und Identitätsgequatsche der Deutschen kritisiert (»Was meinen sie mit Volk/ Was meinen sie/ Meinen sie damit, dass meine Nase nicht okay ist/ Meinen sie,/ dass andere Nasen schwierig sind«), aber auch die Praxis einiger Linker, Nichtdeutsche als »edle Wilde« zu exotisieren, und die vielen Linken eigene geistig-sprachliche Begrenztheit: »Ja, ja, No borders,/ aber in der Sprache jede Menge borders,/ Boring borders - boring.«

Die Goldenen Zitronen: »More Than a Feeling« (Buback)

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.