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  • Antisemitismus in den USA

Lieber nicht erkannt werden

Jüdisches Leben in den USA ist seit der Präsidentschaft von Donald Trump schwieriger geworden

  • Andreas Boueke
  • Lesedauer: 6 Min.

Während der Sabbatfeier in einer Synagoge der Upper West Side von Manhattan sitzen rund 100 jüdische Gläubige auf Holzbänken. Eine Frau mit langen, grauen Haaren trägt einen weißen Tallit, ihren rituellen Gebetsmantel, auf den sie einen Aufruf zum politischen Widerstand genäht hat. Die Rechtsanwältin Elisabeth Langer malt seit ihrer Pensionierung. Ihre Kunst verbindet sie mit politischem Protest gegen Donald Trump. »Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich wirklich Angst, weil ich Jüdin bin«, sagt sie. »Ich habe den Eindruck, wir leben in einer Zeit, die vergleichbar ist mit der Zeit der Machtübernahme Hitlers in Deutschland. Es geschehen wieder so furchtbare Dinge. In unserer Nachbarschaft werden Hakenkreuze auf Wände gesprüht. Es hat Massaker an Juden gegeben. Unsere Synagogen und unsere Schulen brauchen immer mehr Sicherheitspersonal. Es gibt so viel Hass. Und der beginnt ganz oben, bei den mächtigsten Personen unseres Landes. Das ist gefährlich.«

Zwischen Stolz und Angst

Neben Elisabeth sitzt ihr Mann Richard Chused. Auch er ist Jurist und lehrt seit 50 Jahren an der New York Law School. »Normalerweise trage ich keine Kippa. Aber jetzt habe ich mich entschieden, ständig eine zu tragen. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich so ein Gefühl wie jetzt, dass es nicht mehr angemessen ist, mein Judentum zu verbergen.«

Andere Juden reagieren völlig anders. Sie finden es vernünftiger, sich in der Öffentlichkeit nicht mehr als jüdisch zu erkennen zu geben. Die 20-jährige Studentin Tova Frank ist offenbar nicht besonders stolz auf ihre Entscheidung: »Wenn ich zur Arbeit gehe, trage ich nicht mehr diese Kette mit dem Davidstern, weil die Atmosphäre gegenüber Juden derzeit so angespannt ist. Aber es macht mich auch traurig. Es fühlt sich so an, als hätten mir diese Leute etwas genommen.« Doch man müsse praktisch denken. »Zurzeit will ich nicht öffentlich als Jüdin erkannt werden.«

Tova verkauft Theaterkarten am Broadway. Am Times Square laufen Tausende sehr unterschiedliche Menschen an ihr vorbei. Früher hat ihr das nichts ausgemacht: »Als meine Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg aus Osteuropa hierher gekommen sind, nannten sie die USA das ›Golden Amaden‹. Das ist Jiddisch und bedeutet ›goldenes Land‹, ein sicherer Hafen der religiösen Freiheit. Jüdische Menschen haben hier so viele Möglichkeiten, offen zu leben. Mehr als irgendwo sonst. Wir können uns in der Arbeitswelt einbringen, bis in alle Ebenen der Regierung. In der Geschichte sind wir immer davon abgehalten worden, bestimmte Arbeiten oder Ämter zu übernehmen.«

In Tovas Heimatstadt New York leben weit über eine Million Juden, mehr als in irgendeiner anderen Stadt der Welt. Doch die jüdischen Gemeinden sind zunehmend gespalten. Während die meisten Juden in den USA der Demokratischen Partei ihre Stimme geben, fühlen sich jüdische Unterstützer von Trump zunehmend an den Rand gedrängt. »Leider ist es hier so, dass offene Kritik nicht möglich ist«, sagt eine ältere Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. »Man darf nicht das gängige Vorurteil kritisieren, das da lautet: Alles, was Obama getan hat, war gut und wunderbar - und alles, was Trump tut, ist schlecht.«

Die pensionierte Psychoanalytikerin ist als Kind aus Deutschland geflohen. Später hat sie Holocaust-Überlebende behandelt. Die verbreitete kosmopolitische und liberale Haltung vieler junger Juden in den USA hält sie für naiv. So zu denken, sei ein Privileg der Jugend, die in einem sicheren Land aufgewachsen ist und vom Holocaust nur aus Erzählungen und Geschichtsbüchern weiß. Wer das Grauen miterlebt habe, könne sich solche Naivität nicht leisten. »Mein Vater war das jüngste von acht Kindern. Die Faschisten haben alle seine Geschwister umgebracht. Es gibt einen Unterschied, wie Kinder von Überlebenden die Welt sehen und wie Kinder von jüdischen US-Amerikanern es tun, die hier aufwuchsen.«

So ähnlich denken viele Rabbiner der jüdisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaften, die jedoch meist keine Interviews über Trump geben wollen. Eine Ausnahme ist Rabbi Mike Moskowitz, ein ultraorthodoxer litauischer Jude. Er trägt einen langen Bart, eine lange, schwarze Jacke, einen schwarzen Hut und lebt in der ultraorthodoxen Gemeinde Lakewood in New Jersey.

Als den wichtigsten Teil seiner Identität bezeichnet Mike Moskowitz die Studien alter Texte. Aber die aktuelle Politik interessiert ihn auch. »Es gibt Teile der orthodoxen Gemeinde, die Trump unterstützen, weil er so proisraelisch handelt. Ich denke zwar, die meisten von ihnen sehen sein Privatleben sehr kritisch, doch zumindest entspricht es der Vorstellung vieler Orthodoxer, dass der Präsident dieses Landes ein weißer Mann sein muss. Außerdem sehen einige Juden nur ein Thema: Sie wollen eine starke Beziehung zwischen den USA und Israel. Wenn es Israel gut geht, dann geht es mir gut, sagen sie. Der ganze Rest spielt keine Rolle.«

Wendepunkt in Charlotteville

Sieben Monate nach der Amtseinführung von Präsident Trump kam es zum größten rechtsextremistischen Aufmarsch in den USA seit Jahrzehnten. Aufgerufen hatten Gruppen von Neonazis, Ku-Klux-Klan Anhängern und bewaffneter rechter Milizen. In Charlotteville, Virginia, marschierten Demonstranten unter dem Motto »Unite the right!« - vereinigt die Rechte. Viele skandierten: »Juden werden uns nicht vertreiben.« Die Polizei griff nicht ein.

Ein solcher Tabubruch in aller Öffentlichkeit wäre vor Trump undenkbar gewesen, meint Julie Wiener, Pressesprecherin der progressiven jüdischen Organisation TRUAH: »Es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Antisemitismus ein zentraler Bestandteil des weißen Nationalismus ist. Die Rechten behaupten, Juden würden bewusst versuchen, die Kultur der Weißen zu unterwandern. Sie verbreiten die Konspirationstheorie, Juden würden im Verborgenen die Zerstörung des Landes betreiben, indem sie immer mehr Migranten hierher holen. Ein solcher Gedankengang hat den Mann in Pittsburgh dazu motiviert, auf Juden zu schießen.«

Im Oktober vergangenen Jahres war ein Bewaffneter in der Stadt Pittsburgh in eine Synagoge gestürmt, hatte das Feuer eröffnet und gebrüllt: »Tod den Juden!« Elf Menschen starben. Seit 2016 hat sich die Zahl antisemitischer Vorfälle, die an Schulen und Universitäten angezeigt werden, verdoppelt. Trotzdem spricht der Juraprofessor Richard Chused von Hoffnung, wenn er die aktuelle Situation mit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vergleicht. In den 40er und 50er Jahren hätten viele Juden, geprägt vom Trauma des Holocaust, versucht, sich quasi unsichtbar zu machen. Diesmal sei die Reaktion der jüdischen Bevölkerung eine andere. Die meisten seien bereit zu sagen: »Ich bin jüdisch. Ich bin stolz darauf. So bin ich halt. Ihr müsst das akzeptieren.«

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