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Spitzel an den Hochschulen?
Die Linksfraktion im sächsischen Landtag fragt die Staatsregierung nach Zusammenarbeit zwischen Universität und Geheimdienst
Zunächst war es ein Schock, erzählt Frank Aurich von der Kritischen Einführungswoche. Seit Jahren organisiert die Gruppe an der Universität Leipzig zum Semesterstart verschiedene Veranstaltungen, Vorträge und Diskussionen, die sich kritisch mit Gesellschaft und Hochschulpolitik auseinandersetzen. Noch nie gab es dabei Probleme mit der Unileitung. Zum Wintersemester 2018/2019 dauerte die Genehmigung der Veranstaltungen jedoch länger. Dann kam die Absage - zugestellt per Mail. Die Kritischen Einführungswochen werden von mehreren politischen Zusammenschlüssen gemeinsam organisiert. Zwei der Gruppen sollen laut E-Mail keine Veranstaltungen durchführen: Die »Anarchosyndikalistische Jugend« und »Prisma Leipzig« - organisiert in der Interventionistischen Linken. Der Grund: Der Verfassungsschutz Sachsen erwähnt sie in ihrem Jahresbericht.
Die Studentenschaft wollte das Verbot nicht hinnehmen. Sie ging zur Hochschulleitung. In einem Gespräch mit Prorektor Thomas Hofsäss erreichte sie, dass die Verbote zurückgenommen werden. »Die Universität wollte keine Öffentlichkeit«, vermutet Aurich. Die Kritischen Einführungswochen fanden wie gewohnt statt. Ende der Geschichte? Nein, die Studentenschaft ist beunruhigt. Hat die Unileitung aus eigenem Ermessen gehandelt? Oder hat sie einen Tipp vom Verfassungsschutz bekommen, gar die Aufforderung, die Veranstaltungen zu untersagen?
Tatsächlich soll es nach Informationen der Studentinnen vor der Absage der Veranstaltungen ein Treffen zwischen der Unirektorin Beate Schücking und dem sächsischen Verfassungsschutz gegeben haben.
Frank Aurich findet es skandalös, »dass die Universität den freien kritischen Diskurs zugunsten staatlich gelenkter Denk- und Debattenverbote aufgibt und sich der Verfassungsschutz wohl schon seit einiger Zeit aktiv in unsere Hochschule einmischt«. So würden tausende Studierende kriminalisiert, die sich friedlich engagieren, meint der Pressesprecher der Kritischen Einführungswochen.
Doch ist der Verfassungsschutz wirklich schon »seit einiger Zeit« dabei, sich an den Hochschulen einzumischen? Auch der Student_innenRat der Uni Leipzig äußert sich entsprechend: »Spätestens die Auslassungen des damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, zu den rassistisch motivierten Ausschreitungen in Chemnitz im Sommer 2018 haben deutlich gemacht, dass der Verfassungsschutz eine eigene politische Agenda verfolgt, welche auch vor den Hochschulen nicht halt macht«, meinen Hanns Thiel und Paul Reinhardt, Referenten für Hochschulpolitik des Student_innenRats.
Besonders Sorge macht ihnen ein Fall aus Niedersachsen. Dort wurde vor kurzem eine vom Verfassungsschutz eingesetzte »Vertrauensperson« in der studentischen Selbstverwaltung der Universität Göttingen enttarnt. Ist der Verfassungsschutz auch in Sachsen in dieser Form aktiv? Inwieweit nimmt er Einfluss auf die Autonomie der Hochschulen und der Verfassten Studierendenschaft?
Um diesen Fragen nachzugehen, reicht die Linksfraktion im sächsischen Landtag an diesem Dienstag vier kleine Anfragen ein, die »nd« vorab vorliegen. Darin wird nach der Art des Austausches zwischen Verfassungsschutz und den sächsischen Hochschulen gefragt. Konkret soll beantwortet werden, welche Gründe die zwischenzeitliche Absage hatte und auf welchem Wege die Universität die Erkenntnisse erlangte, die sie dazu bewogen. Die Staatsregierung wird in der Anfrage auch dazu aufgefordert zu beantworten, ob das Landesamt für Verfassungsschutz an den Universitäten gegen »Extremismus« aktiv vorgeht und ob gar Vertrauensleute oder verdeckte Ermittler eingesetzt werden. René Jalaß, Hochschulpolitischer Sprecher der LINKEN in Sachsen, hat die Anfrage eingereicht. Er hofft zu erfahren, inwieweit das »Landesamt für Verfassungsschutz Menschen und Gruppen an den sächsischen Hochschulen beobachtet, welchen Austausch es mit den Hochschulleitungen darüber gibt und in welchem Umfang das passiert«. Er kritisiert, dass die Universität eine Einmischung des Verfassungsschutzes offenbar kritiklos hingenommen hat, statt sich schützend vor die Studierenden zu stellen.
»Eine Kooperation mit dem Verfassungsschutz hinter dem Rücken der Studierenden wäre ein Skandal sondergleichen«, meint Jalaß gegenüber »nd«. Jüngere Ereignisse, etwa die Beobachtung Studierender in Potsdam, die Weitergabe von Daten Zehntausender Studierender aus Freiburg an den Verfassungsschutz oder die Enttarnung eines V-Manns im Umfeld linker Studierender in Göttingen, zeigen, dass Befürchtungen, wie sie die Studentenschaft in Leipzig äußert, nicht aus der Luft gegriffen sind, so Jalaß weiter. Eine Antwort auf ihre Anfrage erwarten Studentenschaft und Linksfraktion frühestens in vier Wochen.
Derweil beginnt die finale Phase der Planungen für die nächste Kritische Einführungswoche. Die jungen Studierenden wollen sich ab April kritisch mit der Gesellschaft und ihren Bildungsinstitutionen auseinandersetzen. Ein besonderer Fokus soll dabei auf den Landtagswahlen in Sachsen im September liegen, bei denen ein weiterer Stimmzuwachs der AfD droht.
Die Universität Leipzig kündigte gegenüber »nd« an, öffentlich auf die Kleine Anfrage zu antworten, sich davor aber nicht zu äußern.
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