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Streit um Frieden
Nach Antisemitismusvorwürfen gegen den Preisträger ziehen sich Unterstützer des Göttinger Friedenspreises zurück
Ein Streit um die Verleihung des renommierten Göttinger Friedenspreises 2019 an den Verein »Jüdische Stimme für Frieden im Nahen Osten« ist eskaliert. Wegen Antisemitismusvorwürfen gegen den Preisträger wollen die Universität, die Stadt und die Sparkasse Göttingen die für den 9. März geplante Verleihungsfeier nicht unterstützen. Diese könne nicht wie in den vergangenen Jahren in Räumen der Hochschule stattfinden, erklärte ein Sprecher der Universität am Mittwoch. Er begründete die Entscheidung mit der anhaltenden Auseinandersetzung um den Preisträger, bei der man sich »keiner der kontrovers geäußerten Meinungen anschließen« könne.
Der Vorsitzende der Preisjury der »Stiftung Dr. Roland Röhl«, Andreas Zumach, kritisiert den Rückzug der Unterstützer des Friedenspreises als »feige und unehrlich begründet«. Universität, Stadt und Sparkasse hätten dem »Druck von Falschbehauptungen, Verleumdungen und Rufmord« gegen die »Jüdische Stimme« nachgegeben und diese höher bewertet als sämtliche Gegenargumente. Die Jury hält aber an der Wahl fest - und bekommt dafür breite Unterstützung. Die Verleihung soll nun an einem anderen Ort stattfinden.
Die Stiftung hatte den Verein Anfang Februar als neuen Preisträger benannt und die Verleihung für den 9. März angekündigt. Sie sollte wie immer im Rahmen einer Feierstunde in der Aula der Universität erfolgen. »Die Jüdische Stimme wird für ihr unermüdliches Engagement geehrt, eine gerechte Friedenslösung zwischen zwei souveränen Nachbarstaaten anstreben und erreichen zu können«, hieß es zur Begründung. Der Verein, deutsche Sektion des Verbands »European Jews for a Just Peace (EJJP)«, setze sich für einen gerechten Frieden im Nahen Osten ein. Ziel sei ein lebensfähiger, souveräner Staat Palästina auf eigenem Hoheitsgebiet und innerhalb sicherer Grenzen.
Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, protestierte mit Briefen an Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD), Uni-Präsidentin Ulrike Beisiegel und den Göttinger Sparkassenvorstand Rainer Hald gegen die Entscheidung der Jury. Köhler und Beisiegel sitzen im Kuratorium der Stiftung, die Sparkasse ist Förderer des Preises. »Der Verein ist ein aktiver Unterstützer von Veranstaltungen der gegen Israel gerichteten Boykottbewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen)«, heißt es in dem Schreiben. »Ich muss sicher nicht erläutern, welche historischen Vorläufer Boykotte gegen jüdische Einrichtungen oder Juden in Deutschland haben und welche Assoziationen mit derartigen Aktionen erzeugt werden.« Schuster wirft der BDS-Kampagne vor, auch zum Boykott israelischer Künstler, Wissenschaftler oder Unternehmer aufzurufen. »Sie ist damit keine Bewegung, deren Kritik sich an der Politik der israelischen Regierung entzündet.« Die Stoßrichtung der BDS-Bewegung sei »unzweifelhaft antisemitisch«. Er erwarte von einem »Oberbürgermeister einer mittelgroßen deutschen Stadt ein entschlossenes Vorgehen gegen jeden Antisemitismus«, so Schuster. Köhler solle sich von der Preisverleihung an den Verein distanzieren »und dafür Sorge (…) tragen, dass diese Entscheidung revidiert« werde. Ähnlich wie Schuster hatten sich kurz zuvor der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle und die FDP-Fraktionsvorsitzende im Göttinger Stadtrat, Felicitas Oldenburg geäußert.
Köhler und Beisiegel hatten, bevor Stadt und Universität am Mittwoch ihren Rückzug erklärten, mit der Empfehlung, die Preisverleihung zunächst auszusetzen, auf die Kritik reagiert. Es sei erforderlich, den Antisemitismusvorwurf gegen den Preisträger »vor allem in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der BDS-Bewegung eindeutig auszuräumen oder anderenfalls von der Preisverleihung abzusehen«, schrieb Köhler an die »Stiftung Dr. Roland Röhl«. Er sehe es als seine Pflicht an, »einen möglichen Reputationsverlust der Stiftung (…) und des Göttinger Friedenspreises zu vermeiden.« Wer den Vorwurf wie ausräumen sollte, erklärte Köhler nicht. Inzwischen hat die Stadt bekanntgegeben, es werde in diesem Jahr kein Grußwort bei der Verleihung geben.
Die Jury des Göttinger Friedenspreises will ihre Entscheidung aber nicht rückgängig machen. Ausweislich der Satzung der Stiftung sei sie allein verantwortlich für die Entscheidung über den Preisträger, betonte ihr Vorsitzender Andreas Zumach. Die Entscheidung sei »unanfechtbar«. Die Mitglieder von Vorstand, Kuratorium, Beirat oder Organisationskomitee der Stiftung seien nicht für die Auswahl des Preisträgers verantwortlich: »Alle Versuche, sie oder andere Personen zu einer Revision der Jury-Entscheidung zu bewegen, sind daher zwecklos.« Außer Zumach gehören der Preisjury Christine Merkel von der Deutschen UNESCO-Kommission und Regine Mehl vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik an.
Zumach begründete in einer langen Stellungnahme, dass die »Jüdische Stimme« für ihr Friedensengagement geehrt werde und keinesfalls antisemitisch sei. Dass der Verein die BDS-Kampagne unterstütze, habe für die Entscheidung der Jury keine Rolle gespielt. »Es gab auch keine Diskussion in der Jury über BDS und gibt daher bislang auch keine Position der Jury zu BDS«, so Zumach. Er selbst halte die weit verbreitete pauschale Behauptung »BDS ist antisemitisch« für falsch. Bis heute gebe es dafür keinen belastbaren wissenschaftlichen Beweis. Der Publizist Zumach hatte für sein friedenspolitisches Engagement 2009 selbst den Göttinger Friedenspreis erhalten.
Unterstützung erfährt die Jury von zahlreichen Persönlichkeiten und Organisationen. »Der Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch«, erklärt etwa die evangelische Kirchenmusikdirektorin Britta Martini. Antisemitismus sei völlig inakzeptabel, ebenso die Bekämpfung und Ablehnung des Staates Israel. »Aber der Einsatz für einen gerechten Frieden und eine kritisch-konstruktive Haltung der aktuellen israelischen Regierungspolitik gegenüber sind gut und wichtig,« betonte Martini. »Dies müssen wir - gerade wir Deutschen! - mutig verteidigen und fördern.«
Das internationale Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung äußerte sich so: »Wenn jüdische Organisationen sowohl im Staat Israel als auch in der jüdischen Diaspora für eine andere israelische Politik eintreten, sollte dies in Deutschland aufhorchen lassen, anstatt sie mundtot machen zu wollen, wie jetzt Göttinger Kommunalpolitikerinnen und der Präsident des Zentralrats der Juden versuchen.« Aus Oxford hatte sich vor der Entscheidung am Mittwoch der Philosophieprofessor Brian Klug mit einem Appell an Köhler und Beisiegel gewandt. »Wenn Sie die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die Jüdische Stimme aussetzen, dann werden Sie im Ergebnis politische Position in einer Auseinandersetzung beziehen, die Juden ebenso spaltet wie die allgemeine Öffentlichkeit«, schreibt er. »Trotz Ihrer besten Absichten werden Sie nicht die Sache des Kampfes gegen Antisemitismus befördern. Sie werden vielmehr eine jüdische Gruppe in Deutschland dafür bestrafen, dass sie ihr legitimes Recht auf freie Meinungsäußerung ausübt.«
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