Nicht Wissen fehlt, sondern Vertrauen und Transparenz

Der Deutsche Ethikrat diskutiert die Frage, ob es auch in Deutschland eine Impfpflicht geben soll

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Impfen ja oder nein, das sei nicht die Frage, hieß es am Donnerstag zu Beginn einer öffentlichen Anhörung des Deutschen Ethikrates in Berlin. Es gehe stattdessen darum, ob es eine Pflicht dazu geben solle oder nicht, wie der Ratsvorsitzende Peter Dabrock einleitend erläuterte. »Eine Impfpflicht tangiert hohe Rechtsgüter, es geht um den Schutz von Leib und Leben«, ergänzte der Theologe. Erörtert werden solle, was der Staat dürfe und was den Bürgern zumutbar sei.

Zur Vorbereitung einer Stellungnahme zum Thema Impfpflicht hatte der Ethikrat drei Experten eingeladen, die über nationale und internationale Impfstrategien informieren sollten. Den Aufschlag machte Ole Wichmann vom Berliner Robert-Koch-Institut (RKI). Der Mediziner wies auf einen entscheidenden Punkt hin: Das Impfen diene nicht nur dem individuellen Gesundheitsschutz, sondern auch dem Schutz der Bevölkerung. Bei allen Diskussionen des Themas spielen somit staatliche Interessen eine starke Rolle. Wichmann skizzierte zunächst den Aufbau des deutschen Impfsystems von der Zulassung der Vakzine über Impfempfehlungen bis hin zur Schadensregulierung. Den größten Anteil an den Immunisierungen haben mit 90 Prozent die niedergelassenen Ärzte, den Rest teilen sich vor allem Mediziner in Betrieben und im Öffentlichen Gesundheitsdienst.

Laut Wichmann erreicht Deutschland bei allen Standardimpfungen Quoten von über 90 Prozent. Dennoch gibt es Probleme, insbesondere größere Gruppen von Jugendlichen oder Erwachsenen, die eben nicht zum Beispiel gegen Masern geimpft seien. Auch die Bereitschaft der über 60-Jährigen, sich die empfohlene Influenzaimpfung zu holen, habe abgenommen. 2009 ließen sich 40 Prozent dieser Altersgruppe impfen, 2016 waren es nur noch 35 Prozent. Sorgen bereiten die Zahlen der Menschen, die an Leiden erkrankten, die durch eine Immunisierung vermeidbar gewesen wären: 2017 waren das 929 gemeldete Masernfälle, über 16 000 Keuchhustenfälle und 40 000 Lungenentzündungen durch Pneumokokken. Wichmann nannte auch die Grenzen des hiesigen Impfsystems: Dazu zählt das Fehlen eines zentralen Impfregisters (das auch die individuelle Verantwortung für die Suche nach dem Impfpass mindern würde) sowie einer gemeinsamen Strategie der Beteiligten. Hinzu kommen gelegentliche Engpässe bei Impfstoffen. Wichmann ging davon aus, dass die Impfakzeptanz in Deutschland relativ hoch sei. Nur eine absolute Minderheit von unter fünf Prozent der Bevölkerung sei zu den Impfgegnern zu rechnen. Aus Sicht des RKI solle man sich eher auf die in dieser Frage Unentschiedenen oder Unentschlossenen konzentrieren, deren Anteil bei 20 bis 30 Prozent liege. Die Akzeptanz könne durch bessere Kommunikation und wiederholte Einladungen erhöht werden. International gebe es kein Standardprozedere, zunehmend haben aber europäische Staaten bestimmte Pflichtimpfungen eingeführt.

Die internationalen Unterschiede bei diesem gesundheitspolitischen Thema sind groß - von der Auswahl der Pflichtimpfungen über die Möglichkeit und Leichtigkeit, sich davon befreien zu lassen, bis hin zu einer ganzen Skala von Sanktionen. Diese Vielfalt erläuterte Claude P. Muller, der das Europäische Referenzzentrum für Masern und Röteln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leitet. In Bezug auf die Folgen einer Impfpflicht warnte der Luxemburger Arzt davor, dass sie den Widerstand der Gegner verstärken und ihren Einfluss vergrößern könne. Eine Impfpflicht für einige Krankheiten würde die Bereitschaft bei anderen Leiden beeinträchtigen. Zudem müsse sie vom Staat durchgesetzt werden, der gleichzeitig für die Folgen hafte.

Auf Risiken und Nebenwirkungen einer Impfplicht verwies auch die Politikwissenschaftlerin Katharina Theresa Paul aus Wien. Sie machte darauf aufmerksam, dass sich bei dem Thema staatliche Autorität und Interessen der Pharmaindustrie in einzigartiger Weise verflechten. Mangelnde Akzeptanz für die Vorbeugungsmaßnahme habe aus ihrer Sicht weniger mit fehlendem Wissen als mit fehlendem Vertrauen zu tun. Bei dem Thema sollten nicht nur Bürger und Ärzte in die Pflicht genommen werden, sondern das gesamte mit dem Impfen verbundene System müsse transparenter werden.

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