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Verdrängung ist keine Option
Seit Jahren kämpfen die Mietenden der Eisenbahnstraße 97 in Leipzig um ihren Wohnraum. Jetzt liegen die Räumungsklagen auf dem Tisch
Der Mietkampf um die Eisenbahnstraße 97 im Leipziger Osten erreicht die nächste Eskalationsstufe: In den vergangenen Wochen haben die circa 30 Bewohner*innen der »E97« nach und nach Räumungsklagen erhalten. Darauf weisen sie in einer Pressemitteilung des Mieter*innen- und Unterstützer*innennetzwerks »E97 bleibt!« hin. Demnach begründet der Vermieter die Räumungsklagen damit, dass ihm das Mietverhältnis mit den Bewohner*innen »wirtschaftlich nicht zuzumuten« sei.
Die Leipziger Stadträtin Elisa Gerbsch, die seit 2024 für Die Linke im Leipziger Stadtrat sitzt, hat wenig Verständnis für die Eigentümerinteressen. »Dass einer Räumungsklage überhaupt stattgegeben wird, macht mich sprachlos«, so Gerbsch gegenüber »nd«. Auch die Bewohner*innen der Eisenbahnstraße 97 zeigen sich empört und wütend. »Worauf sollen wir uns verlassen, wenn nicht auf unsere Mietverträge?«, schreiben sie in ihrer Pressemitteilung vom 13. März. Sie fordern: »Reine Profitgier ist nicht schützenswert, ihr müssen Grenzen gesetzt werden.« Jahrelang hatten sie gemeinsam für ihre jetzigen Mietverträge gekämpft und waren erfolgreich: Ihre Staffelmietverträge sind erst vier Jahre alt und gelten noch bis 2041.
Am 8. April beginnen die Verhandlungen um die Rechtmäßigkeit der Räumungsklagen am Amtsgericht Leipzig. Gerbsch betrachtet die Räumungsklagen als Schikane, die der Hauseigentümer als Entmietungs- und Verdrängungsmittel einsetzt. »Genau durch solche Aktionen wird versucht, den Widerstand der Mieter*innen zu brechen«, nimmt die gebürtige Leipzigerin an. Sie selbst begann vor ungefähr zehn Jahren sich in der »Recht auf Stadt«-Bewegung zu engagieren, setzte sich dann auch an der TU Dresden mit Stadt- und Wohnmarktentwicklungen auseinander.
»Solange Eigentümer*innen mit Wohnraum Profit machen dürfen, wird Wohnraum nicht sicher sein.«
Bewohnerin der Eisenbahnstraße 97
Die Eisenbahnstraße ist eines von acht »Sozialen Erhaltungssatzungsgebieten« in Leipzig, auch Milieuschutzgebiete genannt. Es handelt sich dabei um ein Instrument zum Schutz der Bewohner*innen und Kleingewerbetreibenden eines Viertels vor Verdrängung. Damit wird versucht, den negativen Effekten von Gentrifizierung in Großstädten entgegenzuwirken. Die Soziale Erhaltungssatzung sieht beispielsweise vor, dass die Stadt unter bestimmten Bedingungen über ein Vorkaufsrecht verfügt. Mit diesem kann sie potenziellen neuen Eigentümer*innen zuvorkommen und in den Kaufvertrag eintreten.
Gegebenenfalls kann die Stadt ihr Vorkaufsrecht auch zugunsten Dritter geltend machen, beispielsweise einer Hausgemeinschaft, die ihre Mietwohnungen kaufen möchte. Auf diese Weise lassen sich Gebäude in Gemeineigentum überführen. Mithilfe der Solidarischen Wohnungsgenossenschaft Leipzig (SoWo) wollten die Bewohner*innen der »E97« das Haus kaufen, als es 2023 zum Verkauf stand. »Es war klar, dass wir uns gerne selbst verwalten wollen, um nicht wieder den Eigentümerinteressen so schutzlos ausgesetzt zu sein«, erzählt Flo (Name geändert), eine der Mieter*innen gegenüber »nd«.
Allerdings hat im November 2021 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem Berliner Vorkaufsrecht-Klagefall gegen das kommunale Vorkaufsrecht entschieden. Eine zu erwartende Entwicklung entgegen den Prinzipien des Mileuschutzes infolge eines Eigentümerwechsels wurde in diesem Fall als nicht vorkaufsberechtigend beurteilt. Mit diesem Urteil hätten die Sozialen Erhaltungssatzungen an Wirkungsmacht gegen soziale Verdrängung in Städten verloren, so Gerbsch. Ihr zufolge wären sie in Leipzig aber ein wichtiges Mittel, um die Wohn- und Mietpolitik der Stadt sozial auszurichten. Immerhin leben 87 Prozent der Leipziger*innen zur Miete.
Die Bewohner*innen der »E97« hatten es dennoch mit der SoWo und mehreren aufgenommenen Krediten geschafft, sich mit dem Hausverwalter des Eigentümers Orhan Altun zu verständigen. Er hatte sogar schon in ihr Angebot eingewilligt, erzählt eine Bewohnerin des Hauses. Wenig später nahm er die Zusage jedoch wieder zurück, und Altun erwarb das Gebäude.
Seitdem leiden die Bewohner*innen unter diversen Entmietungsmaßnahmen und deren finanziellen sowie psychischen Folgen. Beispielsweise wurden vor etwa einem Jahr die Gasleitungen in der Eisenbahnstraße 97 gekappt. Die Bewohner*innen hatten mehrere Monate kein warmes Wasser, konnten nicht heizen oder kochen.
»Eine derartige Entmietung und Verdrängung, wie wir sie aktuell in der Eisenbahnstraße 97 beobachten können, ist in Leipzig zwar noch selten, aber solche Fälle nehmen zu«, erzählt Elisa Gerbsch. Dabei beträfe die Wohnungsproblematik längst nicht mehr nur die unteren Einkommensklassen, sondern sei mittlerweile in der breiten Stadtgesellschaft angekommen. Wohnungsnot werde allerdings häufig als ein individuelles Problem dargestellt. »Daher kann der Häuserkampf in Leipzig auch als ein Kampf um Sichtbarkeit verstanden werden«, fügt die Leipziger Linke-Stadträtin hinzu.
Gerbsch sieht auch die Bundesregierung in der Verantwortung. Sie kritisiert, dass sich CDU und SPD in ihrer künftigen Regierungsfunktion voraussichtlich nicht für die Mieter*inneninteressen einsetzen werden: »Das Sondervermögen wird wahrscheinlich nicht genutzt, um Bestandsmieter*innen vor Verdrängung zu schützen.« Dabei sei genau das ein Weg, um in eine stabilere Infrastruktur und soziale Sicherheit zu investieren.
Den Bewohner*innen der Eisenbahnstraße 97 geht es kurzfristig darum, ihre Mietverträge zu verteidigen. Sie sind optimistisch, dass sie den anstehenden Rechtsstreit um die Räumungsklagen gewinnen werden. Denn in ihren Mietverträgen sind Verwertungskündigungen ausgeschlossen, erklärt Flo. Sie betont jedoch: »Solange Eigentümer*innen mit Wohnraum Profit machen dürfen, wird Wohnraum nicht sicher sein.«
Mit dem »Integrierten Stadtteilentwicklungskonzept Leipziger Osten« von 2023 formuliert auch die Stadt das Ziel, dass der Leipziger Osten »zu einem Standort mit hoher Wohnzufriedenheit für ein breites Spektrum sozialer Gruppen« wird. Dabei spricht sich die Stadtverwaltung für die Förderung von Bewohner*innen- und Eigentümer*inneninitiativen mit explizitem Verweis auf die Eisenbahnstraße aus. Flo fordert von der Stadt, sich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 nicht einschüchtern zu lassen und andere Wege der Unterstützung der »E97« zu finden.
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