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Guter Europäer, schlechter Europäer

Im Streit um das Wahlprogramm suchte die Linkspartei-Führung schon früh die Deeskalation

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Parteispitze sieht dem Wochenende einigermaßen gelassen entgegen. Das war den Mienen und Worten der Vorsitzenden zu entnehmen, als die sich in dieser Woche vor Journalisten über die Vorbereitungen zum LINKE-Parteitag in Bonn äußerten. Erstaunlich für eine Partei, die im letzten Jahr von einem Führungsstreit gebeutelt wurde und Gelegenheiten zu heftiger Debatte wie den bevorstehenden Parteitag mit einiger selbstzerstörerischer Inbrunst zu nutzen gewohnt ist. Parteiführungen, die auf Geschlossenheit aus sind, bieten solche Ereignisse schon im Vorfeld Anlässe des Zitterns.

Allerdings haben sich die Führungsgremien in Partei und Bundestagsfraktion mit einem Kompromiss über die zuletzt heiß umstrittene Migrationspolitik hinweggeholfen sowie auf mehreren Veranstaltungen der jüngeren Vergangenheit strikt dem Prinzip unterworfen: In Wahljahren wird nicht gestritten, sondern gemeinsam gekämpft. So ist auch das intern traditionell umkämpfte Thema Europa auf diesem Parteitag bereits demonstrativ einiger Tücken beraubt worden.

Der Parteivorstand änderte am Wochenende in seltener Geschlossenheit seinen eigenen Leitantrag, um die darin enthaltenen Attribute zu tilgen, mit denen »vertragliche Grundlagen der EU« gekennzeichnet waren - nämlich als »militaristisch«, »undemokratisch« und »neoliberal«. Schon vor Wochen hatte Fraktionschef Dietmar Bartsch öffentlich gegen solche Formulierungen gewettert, sie in der »Frankfurter Rundschau« als »antieuropäische Plattitüden« gegeißelt, weil sie »der komplizierten Situation nicht angemessen sind«. Und bei einem öffentlichen Auftritt in der Bundespressekonferenz präsentierten am Montag dieser Woche Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, und Mitstreiter wie der Berliner Kultursenator Klaus Lederer ihr Bekenntnis zu Europa - in deutlicher Distanzierung gegenüber oben genannter Formulierung im Wahlprogramm.

Doch zu diesem Zeitpunkt waren die drei Worte bereits getilgt, der Antrag geändert. Allerdings hat sich bei genauerem Hinsehen an der Kritik gegenüber der EU in ihrem derzeitigen Zustand nicht wirklich etwas geändert. Nach der vom Vorstand beschlossenen Umformulierung bleibt es beim Ziel eines Neustarts der Europäischen Union. Und: »Dabei müssen alle vertraglichen Grundlagen revidiert werden, die zur Aufrüstung verpflichten und auf Militärinterventionen orientieren, die Anforderungen demokratischer Gestaltung entgegenstehen und die neoliberale Politik wie Privatisierung, Sozialabbau oder Marktliberalisierung vorschreiben.« Die striktesten Gegner der EU in der LINKEN dürften dieser Formulierung zustimmen.

Auch Fabio De Masi, Fraktionsvize im Bundestag, und ehemaliger Abgeordneter des EU-Parlaments, betrachtet die jetzt gefundene Formulierung als nicht weniger EU-kritisch, dagegen aber viel klarer als die bisherige. Er hält den Streit über Attribute ohnehin für müßig. »Mit Ritualen wie ›guter Europäer, schlechter Europäer‹ kommen wir nicht weiter«, meint der Politiker im nd-Gespräch. Die EU werde von einer institutionellen Krise geschüttelt. Wenn die LINKE das in ihrem Programm in klarer Abgrenzung zur Rechten benenne und dann in einem Alternativangebot ihre Alleinstellungsmerkmale wie die Ablehnung der EU-Aufrüstung deutlich mache, könne man erfolgreich Wahlkämpfe führen. Die Schwierigkeiten im Verständnis der EU tun sich nach seiner Erfahrung ohnehin erst auf, wenn es konkret wird. Mit »proeuropäischen« oder »antieuropäischen« Bekenntnissen ist es dann nicht getan. So sei der Protest gegen das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada ja auch nicht anti-europäisch. De Masi gibt zu bedenken: »Wir können nicht gegen CETA auf die Straße gehen, ohne gleichzeitig den europäischen Binnenmarkt zu kritisieren.« Denn dieser sei nach genau demselben genetischen Muster konstruiert.

Wie andere Streitthemen der Linken ist auch Europa eines, das viele Emotionen weckt. Der Vorwurf des Nationalismus wird schnell erhoben, auf der Gegenseite der einer Unterwerfung unter neoliberale Denkmuster. Der Entwurf des Wahlprogramms versucht allen Seiten gerecht zu werden, lässt nicht viel Raum für Illusionen, was die Kritik an der EU in ihrem derzeitigen Zustand betrifft. Der Vorstand spricht von der Entscheidung im Mai über das EU-Parlament von einer Richtungswahl. Der Vormarsch der Rechten in Europa lässt alle Alarmglocken schellen. Und es gibt wohl niemanden auf dem Parteitag, der die Sorgen nicht teilt.

Dennoch ringen die Verfechter verschiedener Wege zu einem »Neustart« der EU auch in Bonn um Vorherrschaft. Die Strömung der Antikapitalistischen Linken beharrt in einem Antrag darauf, heute gebe es »noch mehr Anlass als bei der letzten EU-Wahl, um festzustellen: Diese EU ist neoliberal, undemokratisch und militaristisch.« Geworben wird für eine »Außerkraftsetzung von undemokratischen und ungerechten Maßnahmen und Vorschriften der EU. Wir unterstützen die Rebellion der Mitgliedsstaaten gegen die Austeritätsvorschriften der EU bis hin zu dem Recht, aus der Gemeinschaft oder der Gemeinschaftswährung wieder auszutreten, wenn sie den Interessen der Mehrheit und nicht nur denen einer nationalen Elite dienen.« Auf der anderen Seite wirbt das Forum Demokratischer Sozialismus in einem Antrag für eine »Republik europäischer Regionen«. Das Ziel sei eine »vollwertige europäische Regierung und eine zweite Parlamentskammer« neben dem EU-Parlament, um »die zentralen Politikfelder endlich auf der europäischen Ebene (zu) steuern«.

Manche Debatte in Bonn wird auch unter dem Eindruck der am Sonnabend beginnenden Kandidatenwahl stehen. Wie bringt man sich und seine Protagonisten in die beste Position, heißt es dann. Als aussichtsreich gelten die ersten sieben bis acht Kandidatenplätze, derzeit ist die LINKE mit sieben Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. Da die Spitzenkandidaten Özlem Alev Demirel und Martin Schirdewan als Kandidaten der Führung unumstritten sein dürften und auch mit Cornelia Ernst auf dem dritten Platz eine gestandene und aussichtsreiche Kandidatin antritt, dürfte das typische Gerangel ab Kandidatenplatz vier beginnen.

Demirel und Schirdewan sind der Öffentlichkeit bisher weniger bekannt, obwohl sie seit 2014 Landesvorsitzende der LINKEN in Nordrhein-Westfalen ist und er seit 2017 dem EU-Parlament angehört. Die Parteiführung preist beide als Vertreter der jüngeren Generation. Mit Demirel steht eine weibliche Kandidatin mit migrantischen Wurzeln zur Wahl - die Politikerin ist kurdischer Herkunft und kam mit fünf Jahren aus der Türkei mit ihren Eltern nach Deutschland. Schirdewan ist Ostdeutscher. Was viele Delegierte sicher nicht wissen, was aber unbedingt für ihn spricht, ist, dass er nicht nur als freier Autor für »neues deutschland« schrieb, sondern einst auch am Jugendmagazin »sacco & vanzetti« dieser Zeitung beteiligt war.

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