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»Wir sägen uns die Füße ab«

Russlands Team wehrt sich gegen den Dauerverdacht, Gastgeber Österreich belasten schwere Vorwürfe: Doping im Skilanglauf ist bei der WM in Seefeld ein heißes Thema.

  • Lars Becker, Innsbruck
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich wollte der überführte Dopingsünder Johannes Dürr bei den Heim-Weltmeisterschaften in Seefeld starten. Die Leistungen des einstigen Weltklasse-Skilangläufers waren aber ganz ohne unterstützende Mittel zu schlecht, um sportlich das Ticket zu lösen: Bei den Rennen im zweitklassigen Europacup vor ein paar Tagen in Planica schaffte es der Österreicher nicht einmal unter die besten 45. Nach der verpassten Qualifikation hat Dürr angekündigt, beim Staffelrennen als Fan an die WM-Strecke zu kommen.

Nicht nur durch seinen Fall steht Doping im Skilanglauf in diesen WM-Tagen im Nobel-Ferienort im Fokus. Am Mittwoch drehte sich eine Pressekonferenz der russischen Mannschaft, die seit dem Staatsdopingskandal bei den Olympischen Winterspielen von Sotschi 2014 unter Generalverdacht steht, fast ausschließlich um dieses Thema. Schwere Vorwürfe gibt es auch gegen WM-Gastgeber Österreich. Und die deutschen Skilangläufer müssen sich rund um diese Titelkämpfe ebenso unangenehme Fragen gefallen lassen.

Johannes Dürr hatte in der ARD-Dokumentation »Die Gier nach Gold« zugegeben, dass sein ausgeklügeltes Dopingsystem mit Eigenbluttransfusionen und dem Blutdopingmittel EPO bis zu seiner Überführung bei den Olympischen Spielen 2014 auch auf deutschem Boden abgewickelt worden war. Demnach hat er sich für insgesamt 5000 Euro in Hotels in München, am Flughafen oder der Innenstadt, in einem Motel an der Raststätte Irschenberg an der Autobahn A8 oder auf einem Parkplatz nahe eines Hotels in Oberhof sein Blut tunen lassen.

»Bei den Zuschauern bleibt nach diesem Film der Eindruck hängen, dass in Deutschland gedopt wird. Das ist totaler Schmarrn und eine absolute Frechheit«, sagt der deutsche Bundestrainer Peter Schlickenrieder. Er wirft dem Rechercheteam um Filmautor Hajo Seppelt vor, dass es sich als Promotion-Maschine für Dürrs Buch »Der Weg zurück« habe einspannen lassen. Durch den Bezug auf den großen Markt Deutschland sei Dürrs Geschichte natürlich viel besser zu verkaufen gewesen. »Dabei zerfleischen wir uns in Deutschland fast im Antidopingkampf. Es gibt kein Land, wo es so viele Dopingproben gibt und so viel für die Prävention getan wird«, behauptet Schlickenrieder.

Tatsächlich laufen im Deutschen Skiverband (DSV) schon für die jungen Athleten im D- und C-Kader Antidopingkampagnen. In Dürrs Österreichischem Skiverband (ÖSV) verschließt man dagegen lieber die Augen. »Wir haben es immer wieder versucht, sind aber auf taube Ohren gestoßen. Ich hatte angeboten, gemeinsam ein großes Doping-Präventionsprojekt ins Leben zu rufen, in dessen Rahmen ich meine Erfahrungen an junge Athleten weitergeben kann. Es bestand kein Interesse«, berichtete Dürr jüngst in einem Interview.

Der gastgebende Verband dieser Weltmeisterschaften bemüht sich stattdessen, den überführten Dopingsünder Dürr als Einzeltäter darzustellen. Ein Insider wirft WM-Chef und ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel vor, dass ihm und damit dem Verband das Thema Doping »scheißegal« sei: »Da zählt das Motto: Erfolg um jeden Preis. Egal, wie viele Invaliden man erzeugt.« Das sind harte Vorwürfe, aber tatsächlich vertreten nicht einmal Protagonisten der Langlaufszene ernsthaft die Meinung, dass diese Titelkämpfe sauber sein werden. Zumal mit der Norwegerin Therese Johaug eine Sportlerin Topfavoritin ist, die nun in Seefeld ihren ersten großen Höhepunkt nach einer Dopingsperre erlebt.

»Natürlich ist es schlecht für den Sport, wenn Stars aus Norwegen positiv getestet werden. Wir hatten in der Vergangenheit im Langlauf zu viele Dopingfälle und sägen uns als Sport selbst die Füße ab. Ich verstehe nicht, warum es immer noch Idioten gibt, die dopen«, sagt Markus Cramer. Der deutsche Skilanglauftrainer arbeitet für das russische Team, das sich permanent Dopingverdächtigungen ausgesetzt sieht. Cramers Schützling Sergej Ustjugow durfte zum Beispiel genau wie viele andere russische Topathleten nicht bei den Olympischen Spielen 2018 starten, weil er vom Internationalen Olympischen Komitee nicht für den Start unter neutraler Flagge zugelassen worden war. Russland durfte als Bestrafung für den Staatsdopingskandal bei den Winterspielen 2014 kein eigenes Team entsenden.

Bei dieser WM ist Ustjugow - im Gegensatz zu den nach Dopingvorwürfen zurückgetretenen Stars wie Alexander Legkow - wieder dabei. Und immer noch frustriert darüber, dass er bei Olympia nicht starten durfte, obwohl er nie offiziell des Dopings überführt wurde: »Es ist noch immer ein Geheimnis, warum ich nicht eingeladen wurde. Ich habe noch immer keine Antworten. Ich kenne die Gründe nicht.« Die russische Verbandschefin Jelena Wälbe, mit 14 WM-Titeln eine der erfolgreichsten Skilangläuferinnen überhaupt, wähnt sich wegen der dauernden Dopingvorwürfe gegen ihr Team sogar an »vorderster Front in einem Krieg.« Der flammt immer wieder neu auf, wenn wie jüngst bei der WM-Generalprobe im italienischen Cogne ihr Topathlet Alexander Bolschunow ein 15-Kilometer-Rennen mit dem riesigen Vorsprung von fast einer Minute gewinnt.

Markus Cramer versichert, dass zumindest die Athleten in seiner Trainingsgruppe sauber seien. Um Zweifler zu überzeugen, fordert der Deutsche sogar härtere Strafen für Dopingsünder: »Die Regeln sollten geändert werden. Statt zwei Jahre sollte man bei einem nachweislich positiven Test mindestens vier Jahre gesperrt werden. Und dazu sollte das Ganze strafrechtlich geahndet werden.« Ob eine derartige Regeländerung freilich etwas ändern würde, erscheint unwahrscheinlich. Das zeigen schon die Reaktionen der Szene auf die Enthüllungen von Johannes Dürr. Er selbst meint: »Es ist ein offenes Geheimnis, dass es die Dopingindustrie gibt. Ich würde niemals einen einzelnen Sportler anpatzen, aber die Mechanismen dahinter sind bekannt. Es ärgert mich, dass am Ende dann trotzdem alle die Augen zumachen.«

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