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Wirtschaftsnahe Labour-Abgeordnete und konservative Brexit-Gegner bilden eine neue Gruppierung im britischen Parlament
Es begann bei der Opposition: Anfang der Woche gaben sieben Labour-Parlamentarier ihren Parteiaustritt bekannt. Sie firmieren nun als »The Independent Group« im Parlament. Als Gründe geben sie den Brexit-Kurs von Parteichef Jeremy Corbyn an - und beziehen sich auf Antisemitismusvorwürfe, die sich um eine einseitige Haltung zum Israel-Palästina-Konflikt und den Umgang mit diesbezüglichen innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten drehen.
Der prominenteste »Unabhängige« ist Chuka Umunna vom wirtschaftsnahen Labour-Flügel. Er konnte sich nie damit arrangieren, dass der linke Corbyn 2015 Vorsitzender wurde. Nun ruft er Abgeordnete anderer Parteien auf, sich anzuschließen; von den »etablierten Parteien« könne kein Wandel ausgehen, sie seien »Teil des Problems« und stellten »Parteiinteressen vor die Interessen des Landes«.
Mit dabei ist auch die jüdische Abgeordnete Luciana Berger. Sie wird mit Beleidigungen überzogen, seit im vergangenen Sommer Vorwürfe hochgekocht sind, wonach die Labour-Führung zu wenig unternommen habe, um derlei entgegenzutreten. Berger spricht von einer »Kultur von Mobbing, Bigotterie und Einschüchterung«. Die Antisemitismusvorwürfe beherrschten im vergangenen Sommer die Berichterstattung in Großbritannien. Dabei sagten nur einige seiner erbittertsten Gegner Corbyn selbst Antisemitismus nach. Auch einflussreiche Vertreter der jüdischen Gemeinde wiesen das zurück. Sie warfen der Parteiführung aber vor, aus einer israelkritischen Haltung zu lange einzelne inakzeptable Äußerungen geduldet zu haben - eine Kritik, die berechtigt scheint.
Der Flügel um Umunna hat mehrfach versucht, Corbyn wegzudrängen. Doch Labour erlebte unter diesem eine Renaissance: Die Mitgliedschaft wuchs auf über eine halbe Million, bei den vorgezogenen Neuwahlen 2017 landete die Partei bei 40 Prozent der Stimmen, haarscharf hinter den Tories. 2015, unter dem moderaten Ed Miliband, waren es fast zehn Prozent weniger. Corbyn wurde wie ein Star gefeiert, seine Gegner verzweifelten.
Die Euphorie hat sich etwas gelegt. Zwar liegt Labour in jüngsten Umfragen weiterhin gleichauf mit den Tories bei gut 37 Prozent, noch immer weit über Miliband-Niveau. Die Umfragen signalisieren aber auch Unzufriedenheit mit Corbyns Brexit-Politik. Aus eigener Überzeugung oder aus taktischen Gründen hält er bisher an der Position fest, das Ergebnis des Referendums zu respektieren. Doch auch an der Labour-Basis wollen viele eine zweite Abstimmung. Erst jüngst nahm Corbyn vor einer Parlamentsabstimmung diese Option in einen Antrag auf, stellte sich aber nicht dahinter. Es fand sich dann auch keine Mehrheit.
Laut den Umfragen ist die Zeit günstig für eine neue Partei. Im Parlament hat die »Unabhängige Gruppe« nun elf Sitze. Am Mittwoch kam mit Joan Ryan eine achte Labour-Politikerin hinzu, am Freitag erklärte der Labour-Abgeordnete von Dudley North, Ian Austin, als Neunter seinen Austritt. Während Austin nicht bei den »Unabhängigen« mitmachen will, bekamen diese auch von den Tories Zulauf: Die EU-freundlichen Abgeordneten Anna Soubry, Sarah Wollaston und Heidi Allen traten über. Sie kritisierten die Brexit-Hardliner und den drastischen Austeritätskurs ihrer Partei.
Parlamentsarithmetisch dürften die Austritte zunächst nicht viel bewirken, denn die Abtrünnigen hatten schon vorher oft gegen ihre Partei gestimmt. Inhaltlich bleibt die Gruppe bisher vage - jenseits einer eher diffusen »Europafreundlichkeit« ist noch wenig an Profil zu sehen.
Ob die Gruppe sich - beispielsweise im Fall abermals vorgezogener Neuwahlen - als politische Kraft etablieren kann, ist gleichfalls fraglich, denn das britische Mehrheitswahlrecht begünstigt die großen Parteien. Zudem könnte sich schon der gewählte Name als ungünstig erweisen: Nach einem Bericht des »Guardian« wird die zuständige Registrierungskommission den Gebrauch dieses Namens bei Wahlen möglicherweise untersagen, da sich eine Verwechslungsgefahr mit tatsächlich »unabhängigen« Einzelkandidaten ergeben könnte.
Bislang ist die Gruppe, die eine neue Kraft der Mitte werden will, nicht als Partei registriert. Juristisch ist sie ein Unternehmen namens »Gemini A Ltd.«, worin Kritiker den Versuch sehen, Transparenzregeln bei Parteispenden zu umgehen. Daraufhin hat die Gruppe zugesichert, alle Spenden jenseits von 7500 Pfund zu veröffentlichen. Umunna will die »Unabhängigen« bis Jahresende als Partei formieren.
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