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Das Gegenteil von Integration

Bundesregierung will Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete zur Dauerlösung machen

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Für einen neuen Job, eine Ausbildung oder das Studium umzuziehen - für die meisten Menschen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Nicht so jedoch für Geflüchtete. Am Mittwoch brachte die Bundesregierung in einer Kabinettssitzung einen Gesetzentwurf auf den Weg, der die sogenannte Wohnsitzauflage zur Dauerregelung machen soll. Danach können Behörden anerkannten Geflüchteten die Niederlassung an bestimmten Orten verbieten oder ihnen einen bestimmten Wohnraum zuweisen. Das im Grundgesetz verankerte Recht auf Freizügigkeit würde in Deutschland somit auch in Zukunft nicht für alle Menschen gleichermaßen gelten.

Die zunächst befristete Regelung war 2016 mit dem Integrationsgesetz eingeführt worden und sollte eigentlich im August dieses Jahres auslaufen. Erst 2014 war die Residenzpflicht nach jahrelanger Kritik gelockert worden. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte damals im Bundesrat die Lockerung der Wohnsitzpflicht ausgehandelt - im Tauschgeschäft für seine Zustimmung zur Einstufung der Balkan-Staaten als »sichere Herkunftsländer«. Gut anderthalb Jahre später wurde der Wohnsitzzwang jedoch wieder eingeführt. Die Bundesregierung erklärte die Entscheidung damals damit, dass so verhindert werde, dass Geflüchtete vor allem in Großstädte ziehen und dort abgeschieden von der Mehrheitsgesellschaft leben und Sprach- oder Integrationsdefizite entwickeln. »Aufgrund des erfolgreichen Einsatzes der Wohnsitzregelung als integrationspolitisches Instrument haben sich die Koalitionsparteien auf ihre Entfristung verständigt«, heißt es nun in dem Gesetzentwurf.

Flüchtlingsverbände und Nichtregierungsorganisationen kritisierten hingegen, dass sich Geflüchtete gerade durch Gesetze und Regelungen wie die Wohnsitzauflage jahrelang in einer Art Paralleluniversum befinden. Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin erklärte dazu gegenüber »nd«: »Integrationspolitisch sind die Wohnsitzauflagen verheerend. Sie sind das genaue Gegenteil von Integration.« Geflüchtete würden immobil gehalten, hätten kaum noch Chancen, aus den Sammelunterkünften rauszukommen. Das sei für eine gute Integration aber gerade hinderlich. Auch die Wohnungsnot in den Großstädten würde so nicht gelöst. Die meisten Geflüchteten könnten es sich gar nicht leisten, eine Wohnung innerhalb der Stadtgrenzen zu bezahlen und seien daher auf günstigeren Wohnraum in ländlichen Regionen angewiesen. Wollten Geflüchtete, etwa aus einer riesigen Massenunterkunft in Berlin-Spandau, in eine Wohnung im nahe-gelegenen brandenburgischen Falkensee ziehen, dann sei ihnen das aufgrund der Wohnsitzauflage nicht möglich, sagte Classen.

Während der Gesetzentwurf die Wohnsitzauflagen für anerkannte Geflüchtete auf Dauer einführen will, soll die gleichfalls mit dem Integrationsgesetz 2016 für drei Jahre ausgesetzte Vorrangprüfung bei der Jobvergabe ab August 2019 anscheinend wieder eingeführt werden. Nach der Vorrangprüfung dürfen Asylsuchende und Geduldete nur dann einen Job annehmen, wenn dafür keine Person mit deutschem oder EU-Pass infrage kommt. »Die Wiedereinführung der Vorrangprüfung würde für die allermeisten von ihnen die dauerhafte Abhängigkeit von Sozialleistungen bedeuten«, so Classen.

Einwände gegen die Wohnsitzauflage hatte es bereits 2016 gegeben, etwa vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags. Im Hinblick auf völkerrechtliche Freizügigkeitsregelungen und die Genfer Flüchtlingskonvention erscheine das Gesetz »nicht unbedenklich«, hieß es in einem Gutachten. Auch der Deutsche Juristinnenbund nannte den neuen Gesetzentwurf zur Entfristung der Wohnsitzauflage einen »schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit«. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, machte außerdem auf die besondere Lage geflüchteter Frauen aufmerksam: »Die Belange von gewaltbetroffenen Frauen finden keine hinreichende Berücksichtigung in der gesetzlichen Regelung.« Müssten sie schnell umziehen oder ins Frauenhaus, dauere es oft Monate, bis geklärt sei, wer die Kosten trage. Zudem müsse künftig auch die Ausländerbehörde am neuen Wohnort zustimmen, bevor ein Umzug möglich wird. Dies widerspräche nicht zuletzt der erst vor einem Jahr angenommenen Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt. »Das Gesetz kann keinesfalls so durchgehen«, so Wersig.

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