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»Das gab es nicht einmal im Kalten Krieg«
Nordrhein-westfälische Finanzämter drohen der VVN-BdA mit Entzug der Gemeinnützigkeit
Das Urteil des Bundesfinanzhofs gegen die Wirtschaftskritiker des globalisierungskritischen Netzwerks Attac schlug in den vergangenen Tagen hohe Wellen. Der Organisation soll die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Der Bundesfinanzhof begründete dies mit der tagespolitischen Ausrichtung von Attac, die nicht förderfähig sei. Einige CDU-Politiker sehen diese Entscheidung offenbar als Chance, um auch gegen andere missliebige Nichtregierungsorganisationen vorzugehen. So erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger, im »Handelsblatt«, dass das Attac-Urteil auch eine Rolle bei der Bewertung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) spielen werde. »Schließlich gibt es gute Gründe zu hinterfragen, ob das Gebaren der Deutschen Umwelthilfe noch den Anforderungen der Gemeinnützigkeit entspricht«, so Bilger.
Die Umwelthilfe ist, nach ihren erfolgreichen Klagen, die zu Dieselfahrverboten führten und führen werden, der liebste Feind manches Konservativen. Schon beim Bundesparteitag der CDU im Dezember vergangenen Jahres wurden Anträge gestellt, die sich gegen die Umweltorganisation stellen. Letztlich beschlossen die Delegierten, dass geprüft werden solle, ob die DUH »noch die Kriterien für die Gemeinnützigkeit erfüllt«.
Ebenfalls deutlich wurde der CSU-Bundestagsabgeordnete Stefan Müller. Er schrieb auf Twitter: »Es kann nicht sein, dass kleine militante Splittergruppen die Gesellschaft drangsalieren und dann auch noch ›Gemeinnützigkeit‹ für sich reklamieren.«
Die »Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung«, ein Zusammenschluss verschiedener NGOs, antwortete auf die Attacken aus der Union. Sie seien »ein Versuch, missliebige Akteure auszuschließen«. Die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure solle nicht nach einer »Freund-Feind-Logik« bewertet werden. Der »förderwürdige Beitrag zur Demokratie«, den Vereine und Verbände leisten, wenn sie den politisch Mächtigen »kritisch auf die Finger schauen«, sollte gewürdigt werden, so der Zusammenschluss.
Auch die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten« (VVN-BdA) sieht sich derzeit Angriffen ausgesetzt. Im Januar flatterten bei verschiedenen Kreisverbänden und dem Landesverband der VVN-BdA in Nordrhein-Westfalen Briefe der zuständigen Finanzämter ins Haus. In den Briefen, die dem »nd« teilweise vorliegen, heißt es, »laut Bayerischem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2017 wird die VVN-BdA als extremistisch eingestuft«, daraus ergebe sich, dass die »Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung« nicht vorliegen. Die VVN-BdA werde die Gemeinnützigkeit rückwirkend entzogen. Den Vereinsverantwortlichen wird allerdings die Zeit für eine Stellungnahme eingeräumt.
Die VVN-BdA wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs von Opfern und Verfolgten des Nationalsozialismus gegründet und blickt, gerade in der Anfangszeit, auf zahlreiche prominente Mitglieder aus allen politischen Spektren zurück. Heute ist die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano Ehrenpräsidentin der Organisation.
In einer Stellungnahme zur angekündigten Aberkennung der Gemeinnützigkeit wirft die VVN-BdA dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) vor, sich »an die Spitze der politischen Anti-Antifa zu stellen«. Weiter heißt es, »eine solche konzertierte Aktion hat es in Nordrhein-Westfalen nicht einmal in Zeiten des Kalten Krieges gegeben. In diesen Zeiten stand die VVN zwar im Verfassungsschutzbericht, es wurde ihr aber nicht die Gemeinnützigkeit entzogen. Die VVN-BdA NRW e.V. kann auf mehr als 70 Jahre der kontinuierlich geleisteten demokratischen Erinnerungs- und Gedenkarbeit sowie der Sozialarbeit für die Opfer des Nazismus zurückblicken.«
Das Düsseldorfer Innenministerium wie auch die NRW-Finanzverwaltung bleiben konkrete Antworten auf Fragen nach Maßnahmen gegen die VVN-BdA schuldig. Eine Sprecherin des Innenministeriums teilte mit, dass man die Organisation als »linksextremistisch beeinflusste Vorfeldorganisation der DKP« betrachte. Aktivitäten der Finanzverwaltung seien nicht bekannt. Nach Angaben einer Sprecherin des Innenministeriums wurden keine Informationen an die Finanzbehörden weitergegeben. Das NRW-Finanzministerium beruft sich auf das Steuergeheimnis und beantwortet deswegen keine Fragen. Die VVN-BdA ist entschlossen, gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch Nordrhein-Westfalens Finanzbehörden vorzugehen. Früher oder später könnte der Fall VVN-BdA gegen NRW vor dem Bundesfinanzhof landen.
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