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Bei den estnischen Parlamentswahlen droht ein Erfolg der Rechten

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Blick ins Baltikum, genauer gesagt nach Estland, vermittelt einen Vorgeschmack davon, wie unsere nahe Zukunft aussehen könnte. Während hierzulande über Breitbandausbau und verbesserten Internetzugang in ländlichen Regionen diskutiert wird, gilt Estland als Vorreiter der digitalen Wende. Im ganzen Land gibt es kostenloses WLAN. Seit 2007 können Esten über das Internet ihre Steuern abrechnen, Rezepte vom Arzt empfangen - oder wählen.

Haargenau 247 232 Menschen gaben bis zum Ende der Frist am Mittwoch ihre Stimme für die am Sonntag stattfindenden Parlamentswahlen ab - elektronisch versteht sich. Diese Zahlen präsentiert die estnische Wahlkommission auf ihrer Webseite. Am stärksten war die Beteiligung nicht in der Hauptstadt Tallinn, sondern in der Universitätsstadt Tartu.

Die aktuellen Umfragen deuten auf eine Abwahl der Regierung hin. Während die sozialliberale Zentrumspartei um Premierminister Jüri Ratas stabil bei 24,7 Prozent liegt, drohen den beiden Koalitionspartnern, den Sozialdemokraten und der konservativen Isamaa (IRL) deutliche Verluste.

Stärkste Kraft dürfte aller Voraussicht nach die oppositionelle Reformpartei (RE) bleiben, obwohl auch ihr Verluste vorausgesagt werden. Die RE wurde vom ehemaligen estnischen Zentralbankchef und »Vater der estnischen Krone«, Siim Kallas, gegründet. Im vergangenen Jahr übernahm seine Tochter Kaja den Parteivorsitz, keine Seltenheit in der estnischen Politik. Die starken Familienbande garantieren auch die programmatische Kontinuität der Partei. Die RE steht für eine neoliberale Wirtschaftspolitik und pflegt eine historisch gewachsene Nähe zum mächtigen Finanzsektor. Auch der jüngste Geldwäscheskandal um die Danske Bank hat daran nichts geändert.

Als große Siegerin dürfte die rechte Estnische Volkspartei (EKRE) aus den Wahlen hervorgehen. In Umfragen liegt sie als drittstärkste Kraft hinter RE und Zentrum bei knapp 21 Prozent, ein Zuwachs von 13 Prozent im Vergleich zum letzten Wahlgang. Ähnlich wie die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit oder Orbans Fidesz fordert die EKRE eine Abkehr von der liberalen Demokratie. Dabei profitiert sie von der sozialen Polarisierung der estnischen Gesellschaft, typisch für alle Länder des postsowjetischen Raums. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat liegt die Armutsquote bei 21 Prozent und damit deutlich höher als der EU-Durchschnitt (17 Prozent). Die soziale Lage treibt die Menschen in die Migration. Ungefähr ein Viertel der Bevölkerung lebt im Ausland, dabei sind die durchschnittlichen Monatslöhne mit knapp über 1200 Euro sogar die höchsten im Baltikum.

Ein Dauerthema, das durch die verschärfte Konfrontation zwischen Russland und dem Westen zusätzlich angeheizt wird, ist die russischsprachige Minderheit des Landes. Die EKRE verlangt im Wahlkampf die Abschaffung des russischen Schulunterrichts. Eine Forderung, die insbesondere IRL und RE unterstützen. In Landesteilen mit hohen russischen Bevölkerungsanteilen ist die Unterrichtssprache ausschließlich oder zur Hälfte Russisch. Kaum zur Sprache kommt dagegen, dass aufgrund der restriktiven Gesetzgebung bis heute rund 80 000 staatenlose russischsprachige Bürger in Estland leben. Traditionell genießt die Zentrumspartei starken Rückhalt unter Pensionären und russischsprachigen Bürgern. Unter Ratas hat die Partei jedoch eine inhaltliche Neuausrichtung vollzogen und diese Rolle zunehmend eingebüßt.

Während über die Parteigrenzen hinweg ein Konsens besteht, die Rüstungsausgaben zu erhöhen, rüttelt nur die rechte EKRE an dem estnischen Wirtschaftsmodell, das auf einer Deregulierung des Finanzsektors, niedrigen Steuersätzen und einem schwachen Sozialstaat basiert. In den 1990er Jahren entwickelte sich das Baltikum zu einer Drehscheibe für Geldwäsche und illegale Exportgeschäfte postsowjetischer Oligarchen. Die schwache staatliche Regulierung macht dieses Geschäftsmodell äußerst lukrativ. Wie in den meisten osteuropäischen Staaten wird diese Entwicklung jedoch nicht von linken, sondern rechten politischen Kräften kritisiert.

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