Leerstände aus Gier

Proteste in Hessen gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Das gibt es in jeder Stadt: Bewohnbare Gebäude, in denen seit Jahren kein Mensch mehr lebt. Dazu zählt ein siebengeschossiges Wohn- und Bürohaus am Wiesbadener Bismarckring ebenso wie ein markantes Wohnhaus an der Eckenheimer Landstraße in der Bankenmetropole Frankfurt am Main. Solche leeren Häuser gehören meistens größeren Immobilienfirmen oder wohlhabenden Eigentümern. Sie können es sich leisten, die Gebäude leer stehen und faktisch verkommen zu lassen, weil sie auf einen höheren Verkaufspreis in der Zukunft spekulieren oder so Steuern sparen können. In Frankfurt gehen Mieterinitiativen davon aus, dass stadtweit rund 5500 Wohnungen leer stehen und damit vielen tausend Menschen ein Dach über dem Kopf vorenthalten wird.

Nun wird der Ruf nach Abhilfe immer lauter. Während auch die hessische ver.di-Landesbezirkskonferenz die Beschlagnahme von Leerstand zur Schaffung von Wohnraum forderte, liegen dem Wiesbadener Landtag hierzu zwei konkrete Gesetzentwürfe vor. In ihrem Antrag für ein Wohnraumschutzgesetz fordert die oppositionelle SPD-Fraktion die Wiederherstellung eines alten Landesgesetzes gegen Zweckentfremdung. Damit soll hessischen Kommunen »mit angespanntem Wohnungsmarkt« die rechtliche Grundlage für Maßnahmen gegen Leerstand oder Umwandlung in Eigentumswohnungen oder Gewerberäume gegeben werden. Ein entsprechendes Gesetz hatte die damalige hessische CDU-Alleinregierung im Jahre 2004 außer Kraft gesetzt.

Für LINKE-Landeschef Jan Schalauske ist es »unverständlich, warum im SPD-Entwurf nur einige wenige und nicht alle Kommunen die Möglichkeit erhalten sollten, Satzungen gegen Zweckentfremdung zu erlassen«. Der von seiner Fraktion eingebrachte Gesetzesentwurf »gegen Leerstand und Zweckentfremdung« ist detaillierter und anspruchsvoller als das SPD-Papier. Er orientiert sich auch an einem Hamburger Landesgesetz. Dort kann die lokale Behörde als »Ultima Ratio« einen Treuhänder mit der Beschlagnahme leerstehender Immobilien beauftragen. Er kann die Räume auf Kosten des Eigentümers renovieren lassen und eine Neuvermietung einleiten. Medienberichten zufolge ist dies im Hamburger Bezirk Mitte zumindest in einem Fall bereits erfolgt. Die beiden Gesetzentwürfe werden jetzt im zuständigen Landtagsausschuss beraten. Noch vor der Sommerpause ist eine Anhörung mit Sachverständigen geplant.

Im zurückliegenden Landtagswahlkampf hatten sich SPD, Grüne und LINKE Gesetze gegen Leerstand und Wohnraumzweckentfremdung in ihre Wahlprogramme geschrieben. Man werde dafür sorgen, »dass dies ins Regierungsprogramm kommt«, versprach Grünen-Fraktionschef Matthias Wagner bei einer DGB-Veranstaltung kurz vor der Wahl im Oktober in Wiesbaden. Im Koalitionsvertrag der fortgesetzten schwarz-grünen Koalition suchen aufmerksame Leser diese Forderung allerdings vergeblich. Nun wird auch die Frankfurter Grünen-Basis ungeduldig und erwartet Taten von Grünen-Spitzenmann Tarek Al-Wazir, der als hessischer Wirtschaftsminister neuerdings auch für die Wohnungsfrage zuständig ist. Bei einer internen Sitzung mit Al-Wazir sei es hoch hergegangen, berichten Grünen-Insider.

Der Minister und Stellvertreter von Regierungschef Volker Bouffier (CDU) will offenbar von einem Gesetz gegen Zweckentfremdung nichts mehr wissen und distanziert sich im Sinne von CDU und FDP von einem geforderten »Eingriff in Eigentumsrechte«, der einen »allzu großen bürokratischen Aufwand« mit sich bringen würde und Investoren abschrecke. Basisaktivisten und Kommunalpolitiker der einstigen Ökopartei hingegen sehnen das Gesetz gegen Zweckentfremdung herbei, um die Wohnungsnot zu lindern.

Unterdessen nutzten LINKE-Aktivisten in der Landeshauptstadt Wiesbaden, die seit geraumer Zeit den Leerstand am Bismarckring anprangern, den jüngsten Straßenkarneval für ihr Anliegen. Als Spekulanten verkleidet zogen sie ein Modell mit der Fassade des Gebäudes auf einem Bollerwagen durch die Innenstadt. Polizeieinheiten untersagten ihnen, sich in den offiziellen Karnevalsumzug einzureihen und drohten mit Platzverweis. »Es passiert leider nur zum Karneval, dass die Staatsgewalt Spekulanten aus dem Verkehr zieht«, so das Fazit der linken Fastnachter, die sich jetzt auch in der Fastenzeit weiter zu Wort melden wollen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.