Cum-Ex-Architekt weist Schuld von sich

Der ehemalige Steueranwalt will Superreiche nur bei Geschäften beraten, ihnen aber keine krummen Finanzprodukte verkauft haben

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Er gilt als Architekt des größten Steuerskandals der Nachkriegsgeschichte. Einst selbst als Steuerprüfer in der hessischen Finanzverwaltung zuständig für die Kontrolle Frankfurter Großbanken wechselte Hanno Berger in den 1990er Jahren die Seite und kam auf die Idee, lieber Superreiche zu beraten, wie sie noch reicher werden könnten. Als Steuerfahnder 2012 im Zuge des Cum-Ex-Skandals seine Anwaltskanzlei und sein Haus durchsuchten, setzte er sich ab.

Nun meldete sich Berger aus seinem Exil in den Schweizer Bergen zu Wort und gab in der am Donnerstag erschienenen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins »Capital« ein langes Interview, in dem er jegliche Schuld von sich weist. Es gebe keinen Steuerskandal, »sondern ein politisches Versagen - und das ist der Skandal«, so Berger. Das Steuerrecht sei so angewendet worden, wie es vom Gesetzgeber beschlossen wurde. »Dass die Politik das heute rückwirkend kriminalisiert, ist der zweite Skandal, ein Justizskandal.«

Eine Gesetzeslücke machte die Cum-Ex-Deals bis 2012 möglich. Dabei wurden Aktienpakete rund um den Dividendenstichtag blitzschnell hin und her gehandelt, sodass für die Behörden nicht ersichtlich war, wem die Aktien in dieser Zeit gehörten. Dadurch konnte die Rückerstattung der Kapitalertragsteuer mehrfach erschlichen werden, obwohl sie nur einmal an den Fiskus abgetreten wurde. Schätzungen zufolge beläuft sich der daraus entstandene Steuerschaden auf zwölf Milliarden Euro.

Berger behauptet, dass dieser Betrug nie stattgefunden habe. »Theoretisch« habe es diese Gefahr gegeben, aber er kenne »keinen einzigen Nachweis, dass dies auch tatsächlich passiert ist«. Dies sieht die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main offenbar anders, die ihm Mitte vergangenen Jahres die Anklageschrift wegen des Verdachts der Steuerverkürzung zugestellt hat.

Auch will Berger keine zentrale Figur bei den dubiosen Aktiendeals rund um den Dividendenstichtag gewesen sein. Man habe beraten, aber nicht selbst vertrieben, beteuert er: »Für den Vertrieb gab es die Banken, zum Beispiel Sarasin hier in der Schweiz, und eine weitere Vertriebsgesellschaft.« Über die Bank seien Kunden wie Drogeriemilliardär Erwin Müller oder Carsten Maschmeyer gekommen.

Gerhard Schick sieht dies anders. »Inwiefern Hanno Berger rechtlich belangt werden kann, müssen die Gerichte entscheiden. Dass er eine zentrale Figur im Cum-Ex-Skandal war, ist unbezweifelbar«, sagt der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete, der jetzt die Bürgerinitiative Finanzwende leitet. Als Parlamentarier initiierte Schick in der vergangenen Legislaturperiode den Untersuchungsausschuss zu dem Skandal mit. Dabei kam ans Tageslicht, dass es in der Tat auch ein Versagen des Bundesfinanzministeriums war, dass die krummen Cum-Ex-Geschäfte so lange möglich waren. Mindestens zehn Jahre lang wusste man in dem Ministerium von der Gesetzeslücke, bevor man sie endgültig schloss. Zwar reagierte man im Jahr 2007 auf die dubiosen Deals, doch blieben sie erst mal noch möglich, solange eine ausländische Bank zwischengeschaltet wurde. Die Änderung diktierte die Bankenlobby damals quasi dem Ministerium, das damals SPD-Mann Peer Steinbrück leitete.

»Auf staatlicher Seite sind in Sachen Cum-Ex viele Fehler gemacht worden«, meint deshalb Finanzexperte Schick. Dies entschuldige aber nicht die betrügerischen Geschäfte. »Nur weil eine Tür offen steht, darf man nicht ins Haus gehen und einfach den Fernseher heraustragen.«

Als die damalige schwarz-gelbe Koalition 2011 sich entschied, die Tür, die den Cum-Ex-Steuerraubzug ermöglichte, endlich zu schließen, war Berger in Österreich im Skiurlaub. Er sei »völlig geknickt« dagesessen, erinnert sich Berger an den Moment, als er davon erfuhr. »Ich wollte das nicht akzeptieren, es war eine Qual.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!