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Schlacht um Neuland

Der Streit wegen der EU-Urheberrechtsreform trägt beinahe mythische Züge.

Die Anführerin der analogen Welt taufte es einst Neuland. Unendliche Weiten, die für alle Nicht-Bewohner rätselhaft bleiben müssen. Denen, die hier aufgewachsen sind - die digital natives, sie nennen ihr Reich Internet -, ist es heilig, weil integraler Bestandteil ihrer Kultur. Doch die ahnungslosen Nicht-Bewohner haben ihnen den Krieg erklärt. Das freie Internet soll fallen.

Die Diskussion um die EU-Urheberrechtsreform erweckt zuweilen den Eindruck einer mythisch überhöhten »Schlacht um Neuland«. Zumal sich auch die Befürworter keineswegs als Angreifer sehen, sondern nichts weniger als die Rolle der Retter der Kreativen vor dem digitalen Unwesen der Urheberrechtsverletzung für sich beanspruchen.

Formal betrachtet geht es um die Anpassung des Urheberrechts, das einer analogen Zeit entsprungen ist, an die Gegebenheiten des Internetzeitalters. Wie sich zeigt, ist das nicht nur eine äußerst komplizierte, sondern auch eine ziemlich emotionale Angelegenheit. Für Letzteres sorgt bei weitem nicht allein, aber insbesondere Artikel 13 des »Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt«, auf den man sich in Brüssel nach jahrelangen schwierigen Verhandlungen Mitte Februar geeinigt hatte. Kommenden Dienstag wird das EU-Parlament darüber abstimmen.

Aus Sicht der Kritiker besteht nunmehr die letzte Chance zur Rettung des Internets, wie man es heute kennt. Vor Uploadfiltern etwa. Die tauchen zwar namentlich in dem Entwurf gar nicht auf. Doch müsse fest mit deren Einsatz gerechnet werden, damit die Vorgaben des Artikels 13 überhaupt umgesetzt werden können. Mit einer Vielzahl befürchteter Folgen, zu denen auch die Einschränkung der Meinungsfreiheit zählt. Aus Sicht der Befürworter sollen mit jenem Artikel 13 vor allem die großen Plattformen wie Facebook, Youtube oder Twitter an die Kandare genommen werden. Zum einen sollen sie durch den Erwerb von Lizenzen Rechteinhaber entlohnen und zum anderen sicherstellen, dass urheberrechtlich Geschütztes gar nicht erst unerlaubt veröffentlicht wird. Bisher liegt diese Pflicht bei den Nutzern; die Plattformen müssen Beiträge, die gegen das Urheberrecht verstoßen, erst sperren, wenn sie auf die Verstöße hingewiesen werden.

Träte Artikel 13 in Kraft, hieße das etwa für Youtube, dass es versuchen müsste, sich mit möglichst vielen Rechteinhabern - theoretisch mit allen, was aber praktisch wohl unmöglich ist - zu einigen. Deren lizenzierte Inhalte könnten dann von den Nutzern auch hochgeladen werden. Um zu verhindern, dass Inhalte auf die Plattform gestellt werden, für die Youtube aus welchen Gründen auch immer keine Lizenz erworben hat, bräuchte es wegen des gigantischen Datenvolumens, das hochgeladen wird, eine technische Kontrollinstanz. Die Uploadfilter.

Doch die machen Fehler, und so fürchten die Kritiker, dass auch unlizenziertes, urheberrechtlich geschütztes Material zum Beispiel in Form von Zitaten, Satire, Rezensionen oder Memes nicht erkannt und herausgefiltert wird, obwohl dessen Nutzung völlig legal ist. Das ist für sie ein massiver Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Bei der Einschätzung des Ausmaßes einer möglichen künftigen Einschränkung liegen Welten zwischen Befürwortern und Gegnern. Wie überhaupt in der gesamten komplexen Kontroverse. In einer Aktuellen Stunde des Bundestags zu den »Auswirkungen der EU-Urheberrechtsreform auf die Meinungsfreiheit« rechnete etwa Anke Domscheit-Berg, parteiloses Mitglied der Linksfraktion und Netzaktivistin, vor, dass auf 100 zu Recht gesperrte 10 000 zu Unrecht gesperrte Inhalte kämen. »Das sind jährlich etwa 30 Millionen unrechtmäßig gesperrte Inhalte. Diese Dimensionen, diese eklatante Verletzung der Verhältnismäßigkeit, die meinen wir, wenn wir von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit reden und von eingeschränkter digitaler Teilhabe.« Für Alexander Hoffmann von der CSU warteten die Reformgegner in der Debatte jedoch lediglich mit »Falschbehauptungen« auf, deren sechs er in seiner fünfminütigen Redezeit unterbringen und aus seiner Sicht widerlegen konnte, darunter: »Falschbehauptung Nummer vier: Die Meinungsfreiheit wird beschnitten. Da sage ich Ihnen mal ganz ehrlich, wenn ein 15-, 16-jähriger Schüler ein Video hochlädt, das unterlegt ist mit einer Musik, was hat denn die Musik im Hintergrund mit Meinungsfreiheit zu tun?« Fürwahr extrem unterschiedliche Wahrnehmungen.

Dass die Gegner überhaupt noch darauf hoffen können, dass eine Mehrheit des EU-Parlaments die Reform ablehnt, liegt an den im Mai anstehenden Europawahlen. Gelingt es vor der Abstimmung kommende Woche an diesem Samstag, möglichst vielen Abgeordneten mit europaweitem Protest klar zu machen, dass die Reformkritiker ein zu beachtendes Wählerpotenzial darstellen, könnten sich doch noch ausreichend Parlamentarier gegen den Richtlinienentwurf stellen, so die Rechnung. Ob die aufgeht, wird sich zeigen. Ebenso, falls nicht, welche Prophezeiung obsiegt: das Ende des bekannten Internets oder nur das Ende der Urheberrechtsverletzungen. Dass die Debatte tiefe gesellschaftliche Gräben bei Vorstellungen von und Wünschen an die digitale Zukunft offenbart hat, steht fest. Sie in Zukunft zu überwinden, auch das wäre Neuland. Man sollte sich dorthin aufmachen.

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