- Politik
- Protest gegen Kohleabbau
Selbstorganisiert gegen Vertreibung
Trotz polizeilichem Verwirrspiel demonstrierten am Samstag über 3000 Menschen für den Erhalt der vom Braunkohletagebau bedrohten Dörfer im Rheinland
Borschemich, Immerath, Spenrath, Otzenrath, Pier, Garzweiler und Etzweiler. Das sind nur einige der Namen von Dörfern, die in den vergangenen Jahrzehnten der Braunkohle weichen mussten. Seit den 1950er Jahren mussten alleine im Rheinland über 40.000 Menschen ihre Dörfer verlassen und dabei zusehen, wie diese zerstört wurden und die riesigen Schaufelradbagger Hunderte Meter tiefe Löcher gruben. Viele Dörfer gibt es nicht mehr. Und wenn es nach dem Willen des Energiekonzerns RWE und der nordrhein-westfälischen Landesregierung geht, dann werden bis zum Kohleausstieg noch mehrere Dörfer folgen. Der sogenannte »Kohlekompromiss« hat daran nichts geändert. Die Umsiedlungen sollen weitergehen.
Eines der Dörfer, die verschwinden sollen, ist Kuckum. Etwas mehr als 400 Menschen leben dort. Eine Straße führt quer durch den Ort, es gibt ein paar Seitenstraßen, eine Kirche, einen kleinen Getränkemarkt und einen Friseursalon. Das wars. Im vergangenen Herbst war NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zu Besuch, hörte sich im Gemeindesaal die Sorgen und Nöte der Menschen an. Die Familie Dresen besuchte Laschet sogar zu Hause. Zum besseren geändert hat sich seitdem nichts. Eher ist es andersherum. RWE schafft Fakten beklagt sich mancher Dorfbewohner. Neue Pumpstationen, die dem Boden das Wasser entziehen entstehen, Bäume im Umfeld des Dorfes werden gefällt. Mitten im Ort hängt ein Plan, auf dem die Menschen in Kuckum sehen können, welche Grundstücke im Umsiedlungsort noch zu haben sind.
Am Samstag ist in Kuckum einiges anders als sonst. Im Hof der Familie Dresen wird Mittags noch gebastelt und organisiert. Luftballons werden aufgeblasen, Fahnen mit dem Slogan »Alle Dörfer bleiben« auf Stangen gezogen und Schilder gemalt. Die drei Pferde auf der Wiese hinter dem Haus stört der Trubel wenig. Marita Dresen und ihr Sohn David sind zwei der Gesichter des dörflichen Widerstands gegen RWE.
In den vergangenen Wochen und Monaten haben sie immer wieder über ihre Situation berichtet. Samstagmittag wirken beide ein bisschen gestresst. Immer wieder telefonieren sie, regeln Dinge mit der Polizei oder den anderen Startpunkten des Sternmarsches. Und zusätzlich wollen noch viele Freunde und Bekannte begrüßt werden. Hier eine Umarmung, da ein kurzes Gespräch und irgendwer hat immer eine Frage an die beiden. Als dann alles steht, Musik aus dem Lautsprecherwagen ertönt und der Demozug sich in Bewegung setzt, fällt Marita und David ein Stein vom Herzen.
Deutlich über 200 Menschen starten von Kuckum aus den kurzen Marsch nach Keyenberg. David schätzt, dass gut ein Viertel aus dem Dorf selbst kommt. Das ist ein riesiger Erfolg für das junge Bündnis »Alle Dörfer bleiben«, denn viele Bewohner der Tagebaurandgemeinden blicken kritisch auf die Protestierenden. »Es ist zu spät – Wir siedeln um!« steht auf einem großen Schild, an einem Haus in Kuckum. Mancher habe sein Haus schon verkauft und könne nicht mit dem Gedanken leben, ins Umsiedlungsdorf zu ziehen, wenn das alte Dorf stehen bleibt, heißt es. Andere sind ökonomisch von RWE abhängig. Wenn die halbe Familie bei RWE arbeitet, protestiert man nicht gegen Umsiedlungen.
Auch dem Sternmarsch am Samstag wurden einige Steine in den Weg gelegt. Als am Samstagmorgen die ersten Menschen in das fast komplett abgerissene Immerath wollten, verweigerten Werksschützer von RWE ihnen den Zugang. Auch die Polizei verhielt sich in einigen Fällen nicht unbedingt kooperativ. Verweigerte die Weiterfahrt zu, im Vorfeld vereinbarten, Parkplätzen oder erzählte Menschen, die sich auf dem Weg zum Sternmarsch befanden, dass es in Kuckum zu voll sei, um dort mit dem Auto hinzufahren. Übrigens zu einem Zeitpunkt als nicht einmal 40 Demonstranten in Kuckum waren.
Das polizeiliche Verwirrspiel um die richtigen Parkplätze brachte einzelne Menschen sogar dazu entnervt wieder abzureisen. Über 3000 Menschen ließen sich davon allerdings nicht beirren. In insgesamt 8 »Sternenschweifen« gingen sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad nach Keyenberg. Den anstrengendsten Weg dürfte dabei eine kleine Wandergruppe aus dem Hambacher Forst gehabt haben, die mehr als 30 Kilometer ging.
In Keyenberg angekommen, präsentierte sich der Widerstand gegen die Braunkohle in seiner ganzen Vielfalt. Das Bündnis »Ende Gelände« bot Kuchen mit veganer Schokoladensoße an, eine kleine Karnevalsgruppe spielte Lieder mit RWE kritischen Texten, in einem Reitstall gab es eine Ausstellung mit Bildern über den Kampf gegen die Kohle, während im Hof vor dem Stall Würstchen verkauft wurden. Auf der Bühne wurde die Vielfalt des Widerstands am Abend am deutlichsten.
Antje Grothus, die in der Kohlekommission saß und sich besonders als Kämpferin für den Hambacher Forst einen Namen gemacht hat, sprach gemeinsam mit Elisabeth Hoffmann-Heinen, die sich schon in den 1980er Jahren gegen den Großtagebau Garzweiler engagiert hat. Auf die beiden folgte eine Schülerin, die bei den Fridays for Future aktiv ist.
Besonders auffällig und möglicherweise eine Stärke der Bewegung für den Erhalt der Dörfer: Der Sternmarsch wurde nicht von den großen Umwelt-NGOs oder Parteien dominiert, sondern von den Aktiven vor Ort. Damit sich Keyenberg, Kuckum, Berverath nicht in die Liste der zerstörten Dörfer einreihen muss zwar noch einiges geschehen. Der Sternmarsch am Samstag hat allerdings schon ein dickes Ausrufezeichen gesetzt und dürfte bei RWE und der Landesregierung für Kopfzerbrechen sorgen.
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