Raus aus dem Hamsterrad

Werner Schuster verabschiedet sich nach elf Jahren als Cheftrainer der deutschen Springer

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum großen Finale seiner elfjährigen Amtszeit empfing Werner Schuster seine Flieger im ersten Durchgang erstmals unten im Auslauf der gigantischen Schanze von Planica. Die erhoffte kleine Kristallkugel für den Sieg im Skiflug-Gesamtweltcup konnte Markus Eisenbichler dem scheidenden Bundestrainer aber nicht zum Abschied schenken. Platz drei am Sonntag reichte nicht. Der japanische Überflieger Ryoyu Kobayashi war bei seinem überragenden Schanzenrekord von 252 Meter einfach zu stark. Eine große Party zum Saisonende gab es bei den deutschen Skispringern am Sonntagabend trotzdem. Drei Weltmeistertitel und der erste Weltcupsieg der Karriere von Markus Eisenbichler vom Freitag wurden gefeiert, vor allem aber Werner Schuster.

»Wir haben ein paar Geschenke für ihn vorbereitet. Hoffentlich kann Werner jetzt ein bisschen besser entspannen«, meinte Karl Geiger mit einem Augenzwinkern. Davon ist auszugehen - schließlich steigt Werner Schuster nach über einem Jahrzehnt erstmal komplett aus dem Hamsterrad Skispringen aus. Der 49 Jahre alte Österreicher will mehr Zeit für seine Frau und seine Teenager-Söhne Jonas und Jannick haben, die ihren Vater im Winter bisher meist nur im Fernsehen erlebten. In Planica hat Schuster erklärt, dass er zunächst gar nichts machen will: »Ich bin noch nicht bereit für eine neue Aufgabe. Und wenn ich mir Zeit nehmen, erhöhte sich die Chance, dass ich die richtige Entscheidung treffe.«

Zum Skigymnasium im österreichischen Stams hat er Kontakt, aber die angebotene sofortige Rückkehr abgelehnt. Mit dem Angebot des Deutschen Skiverbandes (DSV), Chef der neuen Führungskräfte-Akademie zu werden, hat er sich in den letzten Wochen überhaupt nicht mehr beschäftigt. Hingegen nur noch eine Formsache ist die Verkündung von Stefan Horngacher als Nachfolger auf dem Bundestrainerposten. Nach dem letzten Weltcup der Saison in Planica wollte der ebenfalls 49 Jahre alte Österreicher seinen Abschied als Cheftrainer der polnischen Flieger offiziell machen, die er in den vergangenen Jahren unter anderem zum Olympiasieg 2018 und WM-Titel 2019 geführt hat. In der kommenden Woche werden dann »ein, zwei Dinge geklärt werden, die uns noch von der Vertragsunterschrift trennen«, wie der sportliche Leiter im DSV, Horst Hüttel, erklärt. Schließlich geht es um die Zusammenstellung eines neuen Erfolgsteams, zu dem auch Martin Schmitt gehören könnte. Gemeinsam soll bis Olympia 2022 Schusters Erfolgsserie fortgesetzt werden.

Das ist keine leichte Aufgabe, schließlich geht der Überfliegertrainer auf dem Höhepunkt. Bei den Weltmeisterschaften unlängst in Seefeld gewann Werner Schuster drei von vier möglichen Titeln mit seinem Team. Am meisten hat ihm das erste deutsche Team-WM-Gold seit 18 Jahren bedeutet. Angeführt vom dreimaligen Weltmeister Markus Eisenbichler gewannen Karl Geiger, Richard Freitag und Stephan Leyhe mit haushohem Vorsprung den Titel. Der ein Jahr zuvor zum Olympiasieg geflogene Jungstar Andreas Wellinger war nur Zuschauer, wie der dauerverletzte Severin Freund, zu dem Schuster in all den Jahren das engste Verhältnis aufgebaut hat. Schließlich hatte ihm der Bayer als Anführer beim Teamolympiasieg 2014, Weltmeister, Skiflug-Weltmeister und Gesamtweltcupsieger den großen Durchbruch als Trainer verschafft.

Das Team-Gold ohne die beiden Stars der letzten Jahre beweist, welch einmalige Aufbauarbeit Schuster im vergangenen Jahrzehnt geleistet hat. Der einst als Skispringer eher mittelmäßige Mann hatte im März 2008 als Nachfolger von Peter Rohwein eine verunsicherte Mannschaft übernommen, in der erfahrene Flieger wie Martin Schmitt die Hauptrolle spielten. »Damals war die Verpflichtung des ersten ausländischen Chefcoachs im deutschen Skispringen ein gewagter Schritt, aber ich habe nie an seinen Qualitäten gezweifelt. Und alle waren glücklich. Jetzt sind alle traurig, dass er geht«, sagt Hüttel.

Sieben WM-Titel und zwei Olympiasiege stehen nach elf Jahren in der Erfolgsbilanz des gelernten Psychologen, dessen Grundmaxime immer »Besser geht es gemeinsam« hieß. Der Chefcoach hat in seiner Amtszeit vier neue Flieger zu Weltcup-Siegern gemacht und zehn aufs Podest geführt - das ist in der weltweiten Skisprung-Szene einmalig. Auch in diesem Winter setzten mit Markus Eisenbichler, Karl Geiger oder Stephan Leyhe wieder neue Namen die Akzente. Im kommenden Winter werden die neuen Akzente auf dem Trainerturm gesetzt.

Während Schuster auch abseits der Schanze seinen Sport immer perfekt verkaufte, gilt der Gitarrenspieler Horngacher als Mann, der noch näher an den Sportlern dran ist. Horngacher soll mit den Überfliegern den einzigen Titel gewinnen, den der scheidende Überfliegertrainer nie holen konnte: den Vierschanzentournee-Sieg. »Ich bin ja dann als Bremsklotz weg«, hat Schuster dazu gesagt. Und dabei klang in seiner Stimme keine Spur Wehmut mit.

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