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Eine Gesamtkatastrophe

Der Dokumentarfilm »Unser Team - Nossa Chape« erzählt vom Schicksal eines Fußballklubs

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Ende 2016 stürzte in der Nähe von Medellín (Kolumbien) ein voll besetztes Passagierflugzeug ab. Wie sich später herausstellen sollte, hatte das Management der Fluggesellschaft LaMia am Treibstoff gespart bzw. einen Tankzwischenstopp abgesagt. Der Pilot des Fluges war gleichzeitig Miteigentümer der Fluggesellschaft und hatte keinen Notruf an den Flughafen gesendet, da er trotz zu geringer Treibstoffvorräte einen riskanten Direktflug durchgeführt hatte, was verboten ist. Der Charterflug war von LaMia besonders günstig angeboten worden, um im Geschäft mit den lukrativen Transporten von professionellen Fußballmannschaften mithalten zu können. An Bord der Maschine war das Team des brasilianischen Erstligisten Chapecoense auf dem Weg nach Medellín, wo das Hinspiel gegen eine kolumbianische Mannschaft um die Copa Sudamericana, vergleichbar mit der europäischen Europa League, stattfinden sollte.

Von dem Team samt Mitarbeiterstab überlebten nur drei Spieler den Absturz, einem davon musste das Bein amputiert werden. Nur zwei Spieler des Vereins Chapecoense, Alan Ruschel und Hélio Neto, konnten ihre Karriere als Profifußballer fortsetzen.

Auch ein Journalist, der an Bord der Maschine gewesen war, überlebte den Absturz. Überraschend starb er an diesem Dienstag im Alter von 45 Jahren, vermutlich an einem Herzinfarkt.

Die Geschichte der zuvor sehr erfolgreichen Mannschaft aus dem brasilianischen Süden erzählt nun der Dokumentarfilm »Unser Team - Nossa Chape« in zwei Schritten. Zum einen rekonstruiert er die Ereignisse, die zu dem Unglück führten, zum anderen zeigt er, wie der Verein und die Betroffenen mit der Situation umgingen. Dabei montieren die Regisseure Jeff und Michael Zimbalist Spielszenen, Interviews mit Betroffenen und Ausschnitte aus Nachrichtensendungen überaus geschickt zu einer nahegehenden Erzählung über Begeisterung, Trauer, Verantwortung und die gesellschaftliche Bedeutung eines weltweiten Massenphänomens wie des professionellen Fußballsports.

Der Film zeigt die teils gespenstischen Szenen, die sich während einer Gedenkveranstaltung im Stadion der Stadt Chapecó abspielten, den tränenreichen Abschied der Fans, zeigt den Schock der Angehörigen und die Anteilnahme von Gegnern und Kollegen, aber auch die Versuche der Betroffenen, Schock und Schmerz zu verarbeiten. Dabei hilft bekanntlich manchmal auch Sarkasmus: Neto, einer der überlebenden Profis, witzelt während des Aufbautrainings, die Gegner hätten jetzt schon Angst vor ihm, schließlich habe er sich »mit einem Flugzeug angelegt«, und während einer Reiseplanung erklärt der Mannschaftsbetreuer, man werde eine Zwischenlandung zum Nachtanken machen müssen: »Hoffentlich diesmal genug.«

Bald wird jedoch deutlich, dass das Fußballbusiness wenig Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten nimmt, der neue Trainer Vágner Mancini fordert die neu zusammengestellte Mannschaft auf, den verstorbenen Vorgängern metaphorisch »die Eingeweide herauszureißen«, man müsse nun nach vorne schauen und Spiele gewinnen.

Im Mittelpunkt der zweiten Hälfte des Films stehen die überlebenden Profis Neto und Ruschel, die von der Trauer um die alten Mitspieler, dem Gefühl, als Marketingmaskottchen missbraucht zu werden, und den Klagen der befreundeten Witwen über das Gebaren der neuen Vereinsführung, die ihnen angeblich finanzielle Unterstützung verweigert, zusehends überfordert sind.

In einer eindrücklichen Sequenz schildert Ruschel, wie er in seinem ersten Mannschaftstraining nach der Rekonvaleszenz nur wenige Minuten mittrainieren konnte, zu überwältigend sei die emotionale Belastung gewesen, als Einziger des alten Teams am gleichen Ort wie früher einfach wieder die Arbeit aufzunehmen.

Darüber hinaus öffnet der Film einen Blick in eine Männerwelt, die so von dem alles bestimmenden Konkurrenzwahn zerfressen ist, dass selbst die reflektierteren Vertreter unter den Profis wie selbstverständlich von »Blut, Schweiß und Tränen« reden. Übertroffen wird das von der absurden Religiosität, die ebenfalls überall präsent ist und dazu führt, dass mancher der Interviewten kaum einen Satz sprechen kann, ohne darin Gott zu danken.

Leider geht der Film den Brüchen der Geschichte nicht weiter nach, ebenso wenig der klaffenden Brutalität des kapitalistischen Wettbewerbs, die letztlich nicht nur zu dem Flugzeugunglück, sondern auch zu den teils haarsträubenden Versuchen der neuen Vereinsführung führte, die Katastrophe für eine Imagekampagne zu nutzen. Stattdessen mündet die Geschichte in ein Happy End, das auch für den unbedarften Zuschauer bemüht und unangebracht wirkt.

Die kapitalistische Gesamtkatastrophe, wie sie sich den Autoren hier kaum übersehbar und in ihren durchaus dramatischen Auswirkungen exemplarisch zeigt, bleibt in dem sonst bild- und emotionsgewaltigen Film letztlich weitgehend unreflektiert.

»Unser Team - Nossa Chape«, Brasilien 2018. Dokumentarfilm. Regie/Buch: Jeff und Michael Zimbalist. 102 Min.

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