- Berlin
- Mensch Meier
Knarren im Club
Nach einer Razzia im Berliner Club »Mensch Meier« üben Mitarbeiter Kritik / Polizei rechtfertigt Einsatz
Berliner Clubs sind bekannt für ihre strikte Türpolitik. Am Samstagabend wollte eine Gruppe Polizist*innen und Zollbeamt*innen ein »Nein« am Einlass nicht akzeptieren und stürmte das »Mensch Meier«, ein linkes Club- und Kulturhaus im Ostberliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Dort sollte im Anschluss an eine Demonstration gegen eine geplante Asylrechtsverschärfung eine Diskussionveranstaltung und Soli-Party für die zivile Seenotrettung stattfinden.
Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. In den sozialen Netzwerken wird von einem »Angriff auf die Clubkultur und Seenotrettung« gesprochen. Die Polizei spricht hingegen von einem Angriff von Türsteher*innen auf ihre Beamt*innen. Darüber, was genau passiert ist, herrscht Uneinigkeit.
Laut dem »Mensch Meier« waren die Sicherheitsbeauftragten des Clubs gerade damit beschäftigt, die Gitter des Eingangsbereiches aufzubauen, als sie von einer Gruppe »angegangen« worden sein sollen. Diese Personen sollen in Zivil gekleidet gewesen sein und nicht als Polizist*innen erkennbar gewesen sein. Da die Club-Mitarbeiter*innen befürchteten, es könne sich um Nazis handeln, zogen sie sich in das Kassenhäuschen zurück, hielten die Tür geschlossen und »verteidigten« sich. Die Personen sollen sich auch weiterhin nicht als Mitarbeiter*innen von Polizei und Zoll zu erkennen gegeben haben. Kurze Zeit später verschaffte sich eine Hundertschaft der Polizei mit gezogenen Waffen Zugang zum Club. Dies bestätigte eine Mitarbeiterin des »Mensch Meiers« dem »nd«, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Lesen Sie auch: Vier Augenzeugenberichte von dem Polizeieinsatz
Im Club sollen die Polizist*innen rabiat vorgegangen sein: Die Anwesenden sollen »zusammengetrieben« worden sein, Menschen sollen auf dem Boden fixiert und mit Schusswaffen bedroht worden sein, einigen Anwesenden sollen Handschellen angelegt worden sein. Außerdem seien sämtliche Bürotüren aufgebrochen worden. Der Schaden könne laut dem »Mensch Meier« im Moment noch nicht eingeschätzt werden. Laut der Mitarbeiterin soll es mehrere Verletzte gegeben haben. Die Polizei soll erst abgerückt sein, als ein Anwalt auftauchte.
»Wir sind immer noch schockiert über den Einsatz«, sagt die Mitarbeiterin des linken Clubs. »Der Einsatz hat das Ausmaß einer normalen Zollkontrolle bei weitem überschritten und war absolut unverhältnismäßig.« Es war der erste Einsatz dieser Art im »Mensch Meier«.
Die Polizei bezeichnete derweil das »konsequenten Eingreifen« als »Folge der Angriffe auf Ensatzkräfte«. Als Unterstützung für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamtes Berlin habe die 15. Polizeihundertschaft unangemeldet gegen 20:30 Uhr den Club betreten wollen. Auf Anfrage des »nd« erklärte die Pressesteller der Berliner Polizei, dass die Polizeikräfte an der Tür Dienstkleidung getragen hätten. Einsatzkräfte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) seien jedoch in Zivil im Dienst gewesen, sollen jedoch an der Türöffnung nicht beteiligt gewesen und erst später hinzugetreten sein.
Laut Polizei soll die Eingangstür des Clubs offen gestanden haben, als die Polizei anrückte. Ein Türsteher soll die Tür geschlossen haben, als er die Polizist*innen bemerkte. Als es den Beamt*innen gelang, die Tür einen Spalt zu öffnen, soll der Türsteher mit Reizgas gesprüht haben. Weiteren Kräften sei es danach gelungen, die Tür komplett zu öffnen, dort soll der Türsteher erneut mit Pfefferspray gesprüht haben. Laut der Polizei erlitten sechs Polizist*innen Augen- und Atemreizungen und mussten ihren Dienst frühzeitig beenden. Der Türsteher wurde festgenommen. Bei ihm wurde ein Telekopschlagstock und eine entleerte Reizgaskartusche gefunden.
Dass die Polizist*innen mit gezogener Waffen den Club gestürmt haben sollen, konnte von der Pressestelle nicht bestätigt werden. Allerdings sollen aufgrund der »tätlichen Angriffe gegen Polizeikräfte« zwei Beamte der Einsatzhundertschaft zur Eigensicherung ihre Waffen mit nach unten gerichteter Mündungen während der Personenüberprüfungen in der Hand gehalten haben.
Über die Hintergründe des Einsatzes wollen die Mitarbeiter*innen des »Mensch Meiers« bisher noch keine Vermutungen anstellen, da sich der kollektiv organisierte Club noch in der Auswertungsphase befinde. Das »Mensch Meier« fordert allerdings »eine schnelle Aufklärung«.
Der Pressesprecher des Hauptzollamtes Berlin sagte dem »nd«, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit einem anonymen Hinweis auf illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit nachging. Ob der Einsatz ein Erfolg gewesen sei, konnte nicht bestätigt werden, da die »erhobenen Daten/Angaben im Nachgang überprüft/ausgewertet werden.« Zudem würden es die sehr rigiden Vorschriften des Steuergeheimnisses und des Sozialdatenschutzes nicht zulassen, zum Ergebnis von Überprüfungen bestimmter Unternehmen eine Auskunft zu erteilen. Die Pressestelle der Polizei erklärte, dass sich der Einsatz nicht gegen die dort stattfindende Veranstaltung richtete.
Auch politisch könnte der Einsatz ein Nachspiel haben. Der LINKEN-Abgeordnete Niklas Schrader thematisierte den Einsatz im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Zwar wäre der Vorgang dort nicht vollständig aufgeklärt worden, allerdings habe die Polizeipräsidentin erklärt, der Kritik an dem Einsatz nachzugehen.
Für Schrader stelle sich die Frage, warum ein Kontrolleinsatz mit dem Zoll wegen möglicher Schwarzarbeit während einer Großveranstaltung durchgeführt werden musste, »so dass eine Vielzahl von Unbeteiligten betroffen sind und eine Podiumsdiskussion ausfallen muss.« Gegenüber »nd« erklärte er: »Verhältnismäßiger wäre eine Kontrolle bei gewöhnlichem Betrieb gewesen.«
Clubs und Kultureinrichtungen aus verschiedenen Städten solidarisierten sich derweil mit dem »Mensch Meier«. Der Berliner Club kündigte an, nun die Rechtsgrundlage des Einsatzes prüfen zu lassen und eventuell Rechtsmittel einzusetzen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.