Unterschlupf im Bürgerasyl

Initiative versteckt im Landkreis Barnim Flüchtlinge, denen die Abschiebung droht

  • Jeanette Bederke und Oliver von Riegen
  • Lesedauer: 3 Min.

Er wurde als konvertierter Christ in seiner Heimat Iran verhaftet und drangsaliert, wie er berichtet. Daraufhin entschied sich der 30-Jährige für die Flucht. Über die Türkei und Italien gelangte der Ingenieur im September 2018 nach Deutschland, in die zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg nach Eisenhüttenstadt (Oder-Spree). Von dort sollte er zurück nach Italien, wo er erstmals als Flüchtling innerhalb der Europäischen Union registriert worden war. So sieht es die EU-Verordnung Dublin III vor.

»Dort hatte man mich damals ins Gefängnis gesteckt, mir meine Ersparnisse weggenommen. Dahin wollte ich keinesfalls zurück«, sagt der Iraner. Mit Schlaftabletten unternahm er einen Suizidversuch. »Wir haben ihn dann aus dem Krankenhaus abgeholt und privat untergebracht«, erzählt Anna Claßen. Die Sozialarbeiterin gehört wie gut 70 andere zur Initiative »Barnimer Bürgerasyl«. Diese Initiative im Landkreis Barnim will Asylbewerber vor der Abschiebung bewahren, weil sie das Prozedere als unmenschlich ansieht. Der Iraner wurde vor den Behörden versteckt, lebt seitdem mehr oder weniger illegal in Deutschland.

Bürgerasyle gibt es zum Beispiel auch in Berlin, Göttingen und Köln. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat dafür kein Verständnis. Ein »Bürgerasyl« sei im deutschen Recht nicht vorgesehen, erklärte ein Sprecher Seehofers. »Es ist nicht akzeptabel, dass es eigenmächtig zur Verhinderung von Dublin-Überstellungen oder Rückführungen durchgeführt wird.« Nach der Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber dort registriert werden, wo sie zuerst den Boden der EU betreten haben. Nach Ansicht der Organisation »Pro Asyl« gibt es mehr Aufrufe von Initiativen für ein Bürgerasyl als konkrete Fälle.

Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) warnt vor den rechtlichen Konsequenzen. Ein Flüchtling, der sich seiner Abschiebung entziehe, mache sich strafbar, sagt Schröter. Wer hierbei Hilfe leiste, könne wegen Beihilfe belangt werden. Das niedersächsische Innenministerium verweist dagegen darauf, dass der europarechtlichen Pflicht zur Abschiebung das im Grundgesetz gesicherte Recht des Bürgers auf freie Meinungsäußerung gegenüberstehe. De facto sei es damit nicht strafbar, jemanden ohne Gewaltanwendung vor der Abschiebung zu schützen.

Das Barnimer Bürgerasyl berichtet von aktuell vier Fällen, in denen geholfen werde. »Wir sind mehrere kleinere Gruppen in unterschiedlichen Orten des Landkreises, die die konkrete Hilfe leisten und weitaus mehr Unterstützer und Sponsoren, sagt Claßens Mitstreiter Thomas Janoschka. Einen Flüchtling zu versorgen, gehe ganz schön ins Geld.

Claßen, Janoschka und ihre Mitstreiter suchen inzwischen verstärkt den Kontakt zu Kirchengemeinden, wohl wissend, dass das Kirchenasyl von der Bundesregierung in der Regel geduldet wird. Das Bundesinnenministerium hält einen Vergleich des Bürgerasyls mit dem Kirchenasyl für nicht angebracht. Beim Kirchenasyl existiere ein zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgestimmtes Vorgehen, heißt es. Dies sei «im Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipien entwickelt worden» und werde praktiziert, «um im Einzelfall besonderen Härten Rechnung zu tragen». Auch Pfarrerin Katharina Falkenhagen aus Frankfurt (Oder) warnt deshalb vor dem Bürgerasyl. «Wenn Flüchtlinge untertauchen, werden sie automatisch illegal. Ich wage zu bezweifeln, dass man ihnen damit wirklich einen guten Dienst erweist», sagt sie. Katharina Falkenhagen hat bereits mehrfach Asylbewerber im Kirchenasyl betreut. «Die rechtlichen Konsequenzen für die Unterstützer sind nicht angenehm - Ermittlungsverfahren, empfindliche Geldstrafen.» Sobald die untergetauchten Flüchtlinge wieder auftauchen, würden sie ebenfalls strafrechtlich verfolgt und letztlich abgeschoben.

Derartige Konsequenzen habe das Barnimer Bürgerasyl bisher nicht erlebt, sagen die Initiatoren. Sie wollen gegen die Asylpolitik protestieren und haben ihr Wirken deshalb bewusst öffentlich gemacht. «Es wird einfach zu viel abgeschoben, dagegen leisten wir aus moralischer Sicht zivilen Ungehorsam», betont Janoschka.

Landrat Daniel Kurth (SPD) sagt: «Wenn wir damit anfangen, die Moral anzuführen, um uns über geltendes Recht hinwegzusetzen, werden wir in eine ganz schwierige Situation kommen.» dpa

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.