Grundpfeiler mit Rissen

Die US-Regierung nutzt die NATO-Geburtstagsfeier, um Bündnispartner auf Kurs zu bringen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die NATO ist und bleibt der »Grundpfeiler unserer Sicherheit und eine tragende Säule der transatlantischen Beziehungen«. So sprach Außenminister Heiko Maas (SPD) jenseits des Atlantiks. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gab dem Bündnis auch in Zukunft eine Chance, denn: »Niemand käme auf die Idee, an den Versicherungsprämien zu sparen, nur, weil es im eigenen Haus lange nicht gebrannt hat.«

Egal ob Grundpfeiler oder Versicherungspolice - das Bündnis steht vor einer Zerreißprobe. Nicht innenpolitisch, denn außer Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch will kein anderer Fraktionschef im Bundestag das Bündnis auflösen und durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands ersetzen. Im Parlament empört sich keiner so wie die LINKE über die Steigerung der NATO-Militärausgaben um 100 Milliarden auf über eine Billion Dollar und sieht darin eine Bedrohung für den Frieden und den sozialen Zusammenhalt in den Mitgliedstaaten.

Der eigentliche Angriff gegen die NATO kommt aus den eigenen Reihen. US-Präsident Donald Trump ließ das Bündnis von Außenminister Mike Pompeo loben und ließ parallel dazu seinen Vize Mike Pence von der Kette. Der machte unmissverständlich klar, dass die Verbündeten sich in Zukunft nur dann auf Unterstützung verlassen können, wenn sie die Bedingungen der USA akzeptieren.

Diese Drohung traf vor allem Deutschland. Die stärkste Wirtschaftsmacht Europas halte sich nicht an seine Versprechen, zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes fürs Militär auszugeben, wetterte Pence. Das Land vernachlässige sein Militär, unterschätze die russische Gefahr und mache sich zudem auch noch durch die Gaspipeline Nord Stream 2 von Moskau abhängig. Ebenso unversöhnlich ging Pence Ankara wegen des Kaufs russischer Raketen an. Die Türkei müsse wählen: »Will sie ein entscheidender Partner des erfolgreichsten Militärbündnisses der Weltgeschichte bleiben, oder will sie die Sicherheit dieser Partnerschaft riskieren, indem sie unverantwortliche Entscheidungen trifft, die dieses Bündnis untergraben?«

Ungeniert rekrutierten die USA die NATO-Partner für Washingtons Kampf gegen China. Das Land, so Pence, sei die »vielleicht größte Herausforderung« für die NATO. Umgehend hagelt es weitere Kritik an jenen Mitgliedsländern, die ein Interesse an chinesischer Technologie für den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes haben und der sogenannten Seidenstraßen-Initiative, mit der Peking seinen Weg gen Westen ebnet, nicht ablehnend gegenüberstehen.

Die Anmaßung des NATO-Partners USA blieb ohne Gegenwehr. Maas entschuldigte sich fast scherzend, dass das deutsche Haushaltsverfahren für Außenstehende »manchmal schwer zu verstehen« sei. »Aber wir haben uns klar dazu bekannt, mehr Geld in Verteidigung zu investieren, und wir halten Wort«, versprach der Minister. Fast flehend erinnerte er daran, dass Deutschland seit 2014 die Verteidigungsausgaben signifikant um beinahe 40 Prozent erhöht habe und dass die Aufwendungen weiter steigen.

Aus deutscher Sicht, so machten Maas in Washington und von der Leyen in Berlin klar, sei Lastenteilung mehr als Verteidigungsausgaben. Maas erinnerte an die uneingeschränkte Solidarität nach den Anschlägen vom 11. September 2001. »Bis heute sind wir der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan.« Und zweitgrößte Nettozahler der NATO, ergänzte von der Leyen. Beide verwiesen auf andere deutsche Einsätze, die Stationierung deutscher Soldaten in den baltischen Staaten sowie die Anstrengungen zum Aufbau der schnellen NATO-Einsatztruppe und das neue Logistikkommando in Ulm.

Zudem, so der Minister, sei die NATO nicht nur ein Sicherheits-, sondern auch ein Wertebündnis. Sie habe also eine politische Funktion. Trotz vielfältiger russischen Attacken, die Maas aufzählte, dürfe man nicht alle Dialogkanäle nach Moskau abbrechen. »Wenn sich das Sicherheitsumfeld verschlechtert, Regelungssysteme wegbrechen und Spannungen zunehmen, ist Sprachlosigkeit keine Option.« Er setze sich daher weiter dafür ein, »dass der NATO-Russland-Rat regelmäßig tagt und dass auch auf militärischer Ebene der Dialog nicht abreißt. Nur so lässt sich Transparenz aufrechterhalten und das Risiko einer ungewollten militärischen Eskalation mit katastrophalen Folgen minimieren.« Was China betrifft, blieb Maas ebenfalls vage. Das Land sei »auf fast allen Themenfeldern - vom Handel bis zur Klimapolitik - eine neue Herausforderung«. Man müsse »ein besseres Verständnis bekommen, was das für die NATO bedeutet«.

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