Fußball wie er sein soll?
Es war einmal ein Spitzenspiel: Bayern München gegen Borussia Dortmund.
Keine Frage, wenn an diesem Sonnabend um 18.30 Uhr das Spiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund angepfiffen wird, werden sehr viel mehr Menschen vor den Bildschirmen sitzen als an jedem anderen Spieltag der Bundesliga. Der BVB reist mit zwei Punkten Vorsprung zum Rekordmeister. Und die Hoffnung auf ein Ende der sechsjährigen Münchner Alleinherrschaft würde mit einem Dortmunder Erfolg bei dann noch sechs ausstehenden Saisonspielen sehr viel realistischer.
Etwas konstruiert wirkt die ganze Aufregung aber auch. »Die Welt schaut zu« - so oder mit ähnlichen hoch gegriffenen Beschreibungen des Spitzenspiels wurde die deutsche Medienlandschaft in den vergangenen Tagen überschwemmt. Die Deutsche Fußball Liga trägt in eigenem Interesse dazu bei: 25 Kameras wurden noch nie bei einem Bundesligaspiel eingesetzt, teilte die DFL mit. Eine Drohne und eine Flycam sollen »spektakuläre Aufnahmen« garantieren. Zudem werde erstmalig hinter den Toren eine fernbediente Mini-Ultra-Slowmotion-Kamera eingesetzt. Und all diese tollen Bilder werden in 205 Länder übertragen.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass der deutsche Fußball weltweit stilprägend und führend war. Dem Finale in der Champions League 2013 zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund folgte ein Jahr später der WM-Titel. Ein weltweites Interesse am 28. Spieltag der Bundesliga im Jahr 2019 darf aber bezweifelt werden. Weil das Wesentliche, der Sport, von Superlativen derzeit weit entfernt ist. Das gilt für die Nationalmannschaft und die Klubs gleichermaßen. Erstmals seit 2006 ist kein deutscher Verein im Viertelfinale der Champions League vertreten. Selbst wenn dort im diesjährigen Achtelfinale die drei Duelle zwischen deutschen und englischen Klubs in Toren 3:17 endeten, ist der Absturz nicht nur eine Folge finanzieller Unterlegenheit.
Neben falschen Entscheidungen wurde das Wesentliche, der Sport, vernachlässigt. Und auch das gilt gleichermaßen für das Nationalteam, den Ligaverband und, mit den Worten von Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß ausgedrückt, den »wichtigsten Verein in Deutschland«. »Die Mannschaft« wurde weniger Mannschaft und mehr Marketingprodukt. Vermarktungserfolge scheinen auch für die DFL die wichtigsten. »Football As It‘s Meant To Be« - der internationale Bundesliga-Slogan sei in China als Hashtag im vergangenen Jahr mehr als 400 Millionen Mal verwendet worden, teilte die DFL Ende März mit, nachdem sie ihre China-Repräsentanz in Peking eröffnet hatte. »Fußball wie er sein soll?«
Jüngst erinnerte sich Uli Hoeneß an seine Anfänge als Manager beim FC Bayern vor 40 Jahren. Schon in seiner ersten Saison wurde er ob seines aggressiven Transferverhaltens als Geier oder Raubritter bezeichnet. »Ich wollte den FC Bayern nach oben bringen, um jeden Preis«, sagte er dazu. Das Jubiläumsinterview wurde auf der Internetseite des Vereins veröffentlicht. Vielleicht eine Konsequenz seiner skurrilen Medienkritik im vergangenen Oktober. Aber nicht nur die legendäre »Grundgesetz-Pressekonferenz« mit seinem Kollegen Karl-Heinz Rummenigge lässt erahnen, dass die Bayern-Führung ihr Gespür für erfolgreiches Handeln verloren haben könnte. Obwohl Hoeneß diesen Auftritt und so manche Aussage mehrmals als Fehler eingestanden hat, inszeniert er sich jetzt als Opfer: »Die Zeit hat sich total verändert. Wenn du heute Klartext sprichst, ist ein Shitstorm unausweichlich.« Wirr wälzen sich teilweise die Gedanken durch den Kopf des 67-Jährigen. Früher wurde er »als Arschloch bezeichnet«. Und heute: »Die Leute haben sich hinterfragt: Ist der eigentlich so ein Arsch, wie wir immer geglaubt haben? Und sie haben für sich entschieden: Nein, ist er nicht.«
Uli Hoeneß hat den FC Bayern groß gemacht. Deswegen mögen ihn beispielsweise Leute in Dortmund noch lange nicht. Schon gar nicht, wenn er einen Konkurrenten mal wieder gezielt schwächt. Wie nach dem letzten Thronsturz mit zwei Dortmunder Meistertiteln 2011 und 2012. Der BVB war damals auch schon ein finanzielles Schwergewicht in der Liga. Aber er steht auch für einen speziellen Erfolgsweg. Denn internationale Siege, ob vom Nationalteam oder deutschen Klubs, waren immer mehr das Ergebnis guter Ideen und kreativer Arbeit statt finanzieller Kraft. Das gilt auch jetzt auf nationaler Ebene: Dortmund hat es mit günstigen Talenten wieder auf Augenhöhe zu den Bayern geschafft. Die Antwort aus München: Lucas Hernández. Mit der Ablösesumme von 80 Millionen Euro ist der 23-jährige Franzose der weltweit teuerste Abwehrspieler. In ihrer Ratlosigkeit machen die Münchner den einst verfluchten Transferwahnsinn mit. Selbst ein dreistelliger Millionenbetrag für einen Spieler sei nicht mehr ausgeschlossen, heißt es. Für Talente wird da wenig Platz sein. Aus dem eigenen Haus schon gar nicht. Als Tim Walter im vergangenen Sommer die Münchner als Nachwuchscoach verließ, resümierte er: »Der FC Bayern hat in der Jugend noch kein durchgängiges Konzept entwickelt.«
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