- Sport
- Bundesliga
Zwei Klassen tiefer
Nach dem 0:5 in München bilanziert man bei den Dortmundern eine »Lehrstunde«
Mit drastischer Selbstkritik auf deutliche Niederlagen zu reagieren, ist ein alter Reflex im Fußball. Scheinbar fühlt es sich besser an, wenn die Protagonisten von einer »Lehrstunde« sprechen, wie es Borussia Dortmunds Trainer nach dem 0:5 beim FC Bayern tat, als wenn irgendwelche Kritiker Schlagzeilen aus derlei knackigen Vorhaltungen basteln. »Knallhart« müsse die Analyse nach dieser »katastrophalen« Leistung ausfallen, erklärte Marco Reus, bevor er ungefragt ein Thema eröffnete, um das die Beteiligten normalerweise einen großen Bogen machen: »Wir müssen einfach mehr Mentalität zeigen, mehr Charakter«, zürnte der Kapitän.
Solche Mentalitätsdebatten sind heikel, sie berühren viel zu häufig sensible Punkte im sozialen Gefüge, doch an diesem Abend befeuerte sogar Michael Zorc diese Diskussion. »Wir waren mental nicht in der Lage, auf dem Niveau das Spiel so zu spielen, wie wir können«, meinte der Sportdirektor. Natürlich klangen all die Erklärungen für 90 Minuten der totalen Hilflosigkeit einleuchtend, selbst Bayern Münchens Thomas Müller argumentierte aus der Perspektive des Psychologen: »Die Konstellation war optimal, um sportlich über die hundert Prozent zu gehen«, sagte der Angreifer, »der Druck war da«.
Müller teilte damit einen gut versteckten Seitenhieb auf den großen Rivalen um den Titel aus, dessen mentale Verfassung vielleicht wirklich brüchiger ist als gedacht. Schließlich blickten die Dortmunder auf drei Siege gegen Stuttgart, in Berlin und gegen Wolfsburg zurück, die sie jeweils mit viel Willenskraft in den finalen Momenten der Spiele erzwungen hatten. Hier liegt aber nur ein Grund dafür, dass die Fokussierung auf den Mangel an Geisteskraft und Reife als Hauptgrund für den Zusammenbruch von Fröttmaning nur zum Teil überzeugte.
Natürlich war der Spielverlauf ungünstig, und hätte Mahmoud Dahoud seine wunderbare Chance zum 0:1 verwertet, hätte sich womöglich eine ganz andere Dynamik entwickelt. Der furchtbare, ohne jeden Gegnerdruck gespielte Fehlpass des armen Dan-Axel Zagadou in die Beine von Robert Lewandowski vor dem 0:2 brach dann tatsächlich endgültig jeden Widerstand. Allerdings gab es nicht einmal eine kurze Phase während dieser 90 Minuten, in der die Dortmunder halbwegs ebenbürtig waren, und das lag womöglich auch an Lucien Favres überraschenden personellen Entscheidungen. Auf dieses Thema reagierten die Dortmunder, als habe jemand mit einer Nadel in eine entzündete Wunde gestochen.
Die Mentalität hatte Zorc in Frage gestellt, als aber jemand mit dem Sportdirektor über die Aufstellung und die Taktik des Trainers sprechen wollte, wurde er laut: »Wer dieses Spiel an der Aufstellung oder an der Formation festmacht, der hat keine Ahnung von Fußball«, polterte Zorc los, und Favre reagierte ähnlich. Der Trainer war lediglich nach den Hintergründen seiner Idee gefragt worden, Reus als Sturmspitze aufzubieten und den hilflosen Mahmoud Dahoud dahinter auf der Acht zu positionieren. »Wenn du verlierst, ist der Trainer immer Schuld«, brach es aus Favre heraus. Es war nicht zu übersehen, wie sehr er sich von einer Frage angegriffen fühlte, die eigentlich gar keine Kritik enthielt. »Es ist leicht zu sagen, dass es eine falsche Idee war. Aber wir haben es so gemacht, weil wir Läufe in die Tiefe haben wollten«, erklärte er dann auf Nachfrage.
Dem nicht ganz so schnellen, dafür mit großen Spielen sehr erfahrenen und derzeit auch formstarken Mario Götze hatte er das offenbar weniger zugetraut als Dahoud, der völlig überfordert war mit diesem Match. Opfer dieser Strategie wurde außerdem Reus, der große Anführer, der das Hinspiel entschieden hatte und der keinen Einfluss als Stabilisator seiner wankenden Mannschaft nehmen konnte. Weil er als einsame Spitze nur selten dort auftauchte, wo es brannte, wo die die Fußballer in schwarz-gelb nach Halt und Orientierung suchten. »Jeder weiß, dass das nicht meine Lieblingsposition ist, und was ich eigentlich spielen möchte«, erklärte Reus in aller Offenheit. Scheinbar hat Favre seine Überlegungen vor der Umsetzung nicht einmal mit seinem Kapitän diskutiert. »Psychologisch tut das sehr weh«, sagte Reus am Ende noch, meinte mit dieser Aussage aber wohl weniger die erfolglose Strategie als das Gefühl der Demütigung, mit dem die Dortmunder die Heimreise antreten mussten.
In der Tabelle beträgt der Rückstand auf die Bayern zwar nur einen Punkt, und das Restprogramm der Klubs hat einen ähnlichen Schwierigkeitsgrad. Aber nach diesem Erlebnis bleibt das Gefühl, dass der Rekordmeister den Dortmundern viel weiter voraus ist als es die Tabelle anzeigt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.