München steigt um
Stadtrat will bis zum Sommer Konzept zur Verkehrswende vorlegen
«Sichere, komfortable und stressfreie Kreuzungen und Einmündungen» steht auf dem Plakat, das der junge Mann im gelben T-Shirt vor dem Münchner Isartor in die Höhe hält. Es ist Donnerstagvormittag und das Bündnis «Radentscheid München» macht mobil - für die Verkehrswende in der Stadt. Sonja Haider, Sprecherin des Bündnisses: «Wir wollen gute und sichere Radwege. Das heißt, dass es an Straßen mit vielen Kraftfahrzeugen oder Geschwindigkeiten über 30 Stundenkilometern baulich geschützte Radwege geben muss.» Das angestrebte Bürgerbegehren ist allerdings nur ein Steinchen auf dem Weg, neue Verkehrskonzepte für die Stadt zu realisieren. Und München ist dabei nur eine von vielen Städten in Deutschland.
Wer an einem werktäglichen Morgen noch immer mit dem Auto in die Innenstadt fährt, ist selber schuld. Denn die Verkehrssituation in der weißblauen Landeshauptstadt ist gekennzeichnet durch Staus auf dem Mittleren Ring (der Stadtautobahn), verstopfte Straßen im Zentrum und nichtvorhandene Parkplätze. Hinzu kommen Feinstaubbelastung und Lärmbelästigung.
Während die bayerische Staatsregierung noch immer von Lufttaxis träumt, mit denen sich Staus und Verkehrschaos entfliehen lasse, bleibt der Münchner Stadtrat auf dem Boden: Bis zum Sommer soll ein Konzept für die Verkehrswende vorgestellt werden. Im Mittelpunkt stehen umweltfreundliche Mobilitätsformen. Zudem sollen Flächen zugunsten von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fußgängern und Radlern neu aufgeteilt werden, so der Stadtrat in seinem Beschluss vom Februar. Bis Mitte des Jahres will das Gremium konkrete Entscheidungen unter anderem zu neuen Expressbuslinien und eigenen Busspuren treffen. Auch Radschnellwege und Sharing-Angebote wie Leih-Fahrräder und Leih-Autos sind im Gespräch.
Strittig war im Stadtrat noch die genaue Bezeichnung für das Konzept. Doch ob autofrei, autoarm oder verkehrsberuhigt - unbestritten ist, dass die Altstadt weiterhin ein gewisses Maß an Auto- und Lastwagenverkehr haben wird, damit Geschäfte beliefert werden und Anwohner zu ihren Garagen fahren können.
Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) steht hinter dem Konzept: Es mache eben Sinn, «wenn 70 Leute in einem Bus sitzen, als in 70 Autos». Allerdings stehe der Bus oft im Stau. Der Stadtrat müsse sich entscheiden, ob er Parkplätze und Fahrspuren zugunsten des Öffentlichen Nahverkehrs opfern wolle. Neue Busspuren könne man in wenigen Wochen umsetzen, auch für Radwege und Fahrradabstellplätze, Lade- und Lieferzonen werde der Platz gebraucht. «Ich will nicht zurück zu einer Stadt, in der das Hauptaugenmerk ist, dass Autos fahren können», so Reiter.
Das verhindern will auch das Bündnis Radentscheid. Sichere und breite Radwege, ein Rad-Vorrangnetz in der ganzen Stadt, übersichtliche Kreuzungen und Einmündungen sowie Radabstellplätze sind die Kernforderungen des Bündnisses, das aus ADFC, Grüne, Bund Naturschutz, LINKE, Green City und ÖDP sowie weiteren 40 Partnern und rund tausend ehrenamtlichen Radlbotschaftern besteht.
Auf den Weg gebracht wurden gleich zwei Bürgerbegehren, um die angespannte Verkehrssituation in der Landeshauptstadt zu entlasten und die Sicherheit der Radelnden entscheidend zu erhöhen. In einem grundsätzlichen Begehren fordert das Bündnis eine attraktive, leistungsfähige und sichere Radverkehrsinfrastruktur. Ein zweites Bürgerbegehren soll ganz konkret einen Altstadt-Radlring ermöglichen. Gudrun Lux, eine weitere Sprecherin des Radentscheids: «Wir wollen Vorfahrt fürs Rad und zwar auf Rad-Vorrangrouten, die alle Stadtbezirke verbinden. Nur wenn alle wichtigen Orte des öffentlichen Lebens - seien es Universitäten und Schulen, der Hauptbahnhof oder Museen und Konzerthallen - gut mit dem Fahrrad erreichbar sind, steigen Menschen auf diese umweltfreundliche und platzsparende Mobilität um.
Dass München mit der Verkehrswende nicht alleine dasteht, macht ein Papier des Deutschen Städtetags deutlich, in dem vor einem Verkehrskollaps gewarnt wird und zusätzliche Unterstützung des Bundes gefordert werden. »2019 muss ein Jahr der Verkehrswende werden, in dem die Verkehrspolitik viel stärker auf zukunftsgerechte und nachhaltige Mobilität ausgerichtet wird«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy. Es müsse vor allem mehr attraktive Angebote geben, vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr und das Fahrrad umzusteigen. »Ohne eine Verkehrswende werden wir bald in Teilen unseres Landes einen Verkehrskollaps erleben.«
Bund und Länder müssten deshalb ein Gesamtkonzept für nachhaltige Mobilität vorlegen, so die Forderung des Städtetags.
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