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Netanjahu vor Sieg Nummer fünf
Wahl in Israel: Rechtes Lager erreicht Mehrheit. Opposition stark, aber machtlos
Bis zum Mittwochnachmittag die Stimmen ausgezählt wurden, war offen, wie die Parlamentswahl in Israel denn nun tatsächlich ausgegangen ist: Zwar war schon in der Nacht klar geworden, dass sowohl der Likud von Regierungschef Benjamin Netanjahu als auch die vom Ex-Generalstabschef Benny Gantz geführte Blau-Weiß-Liste mit um die 35 Mandate gleichauf liegen. Doch in Israel werden die Wahlen vor allem durch die Stärke der Kleinparteien entschieden. Und von zehn Parteien mit Aussicht auf Parlamentsmandate kratzten sechs bis zur letzten Minute sehr knapp an der 3,25 Prozenthürde.
Jetzt ist klar: Zwar haben es weder die »Neue Rechte« von Bildungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ajelet Schaket noch die ultrarechte, Pro-Cannabis-Partei »Zehut« ins Parlament geschafft, für eine rechnerische Mehrheit des rechten Lagers reicht es aber trotzdem. Und diese Mehrheit hat es in sich: Kommt es zur Regierungsbildung, wären zwangsläufig auch Ultrarechte aus dem Umfeld der in Israel als terroristische Vereinigung verbotenen Kach-Bewegung in der Regierung - potenzielle Partner im linken und zentristischen Spektrum gibt es für Netanjahu nicht: Alle Parteien haben eine Koalition unter anderem wegen der diversen Korruptionsaffären des seit nun zehn Jahren dauerhaft amtierenden Premiers ausgeschlossen.
Vor allem die palästinensische Regierung befürchtet deshalb nun das Schlimmste: »Dieses Ergebnis gibt Anlass zu tiefer Sorge«, so die palästinensische Politikerin Hanan Aschrawi, Mitglied im Exekutivkomitee der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO): »Netanjahu wird nun mit Unterstützung des Weißen Hauses seine extremistische Politik fortsetzen, und die Gelegenheit nutzen, um jede Aussicht auf Frieden zu beseitigen.«
Auch die Bundesregierung möchte ihre Kooperation mit der Regierung fortsetzen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch in Berlin: »Die Bundesregierung wird mit der neuen israelischen Regierung eng, freundschaftlich, vertrauensvoll zusammenarbeiten.«
Am vergangenen Wochenende hatte Netanjahu der Wählerschaft die einseitige Annexion von Teilen des israelisch besetzten Westjordanlandes in Aussicht gestellt, und die Ultrarechten haben bereits in der Nacht angekündigt, ihn beim Wort nehmen zu wollen. Nicht nur das: Auch die Ämter des Justiz- und Bildungsministeriums wollen sie haben. »Auch wenn der Wahlkampf mit seinen vielen Nachrichten ausgesprochen anstrengend war, dürfen sich alle, die an ein demokratisches Israel glauben, nun nicht ausruhen«, sagt Aiman Odeh, Chef der linken, jüdisch-arabischen Partei Chadasch, die mit sechs Abgeordneten ins Parlament einzieht, obwohl die Wahlbeteiligung bei israelischen Arabern historisch niedrig war. Daher warnte er gleichzeitig vor der Zukunft: »Die Gefahr für die Gesellschaft ist riesig.«
Denn wer die Bildungs- und Justizressorts kontrolliert, entscheidet über die Auswahl von Richtern und Staatsanwälten und darf mitbestimmen, was an Schulen und Universitäten gelehrt wird. Besonders viel Raum für Gegenwehr innerhalb des Parlaments ist nun nicht mehr vorhanden. Die sozialdemokratische Arbeitspartei, die im bisherigen Parlament unter dem Namen »Zionistische Union« agierte, ist von 18 auf sechs Mandate geschrumpft, und wofür Blau-Weiß, ein Bündnis aus der bisherigen Zukunftspartei von Jair Lapid und Gantz sowie zwei weiteren Ex-Generalstabschefs, steht, ist bis heute nicht klar. Mehr als die Hälfte der 35 Abgeordneten werden wohl Politneulinge sein.
Die größte Gefahr für Netanjahus Regierungsbildung kommt deshalb aus dem rechten Lager selbst. In der Wahlnacht weigerte sich die konservative Kulanu des bisherigen Finanzministers Mosche Kachlon, sich für eine Koalition auszusprechen. Und auch die Unterstützung Jisrael Beitenu, die Partei Avigdor Liebermanns, der in der Vergangenheit Verteidigungs- und Außenminister war, gilt nicht als garantiert. Das Wahlergebnis für den Likud sieht übrigens besser aus, als es tatsächlich ist: Zwar hat man fünf Mandate zugelegt, aber das liegt allein am Wahlsystem - in absoluten Zahlen erhielt man gerade einmal 80 000 Stimmen mehr als 2015, etwa drei Prozent.
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