Enteignet Söder!

Schon die Eltern des Grundgesetzes wussten: Gemeinwesen funktioniert nur, wenn man auch konfiszieren darf.

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Gespenst ging letzte Woche um in Deutschland – das Gespenst des Sozialismus. Wegen des Vorhabens, per Volksentscheid für eine Enteignung großer Wohnungsunternehmen zu sorgen. Enteignung sei nämlich, wie viele besorgte Personen der Öffentlichkeit klarstellten, ein Relikt des Sozialismus. 30 Jahre nach Ende der DDR sollte so ein sozialistischer Rückschritt doch nicht als ernster Vorschlag gemeint sein, las man. Speziell Leute aus der Union gaben sich oberlehrerhaft. Markus Söder witterte freilich auch eine »sozialistische Idee« - Söder ist übrigens der Mann, der als bayerischer Finanzminister die Gemeinnützige Bayerische Wohnungsgesellschaft (GBW) an einen Privatinvestor verkaufte. Rund 33.000 Wohnungen sind von der Privatisierung betroffen.

Privatisierung: Eigentlich ist das bloß ein anderes Wort für Enteignung. Jedenfalls für eine ganz spezielle Enteignung, die nicht »nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig« ist, wie es eigentlich im Grundgesetz (Artikel 14) vorgesehen ist. Die Privatisierungsenteignung hat das Wohl einiger Renditejäger im Auge. Dass so eine Umkehrung der grundgesetzlich zugelassenen Enteignung keinen Sozialismus darstellt, kann man schon nachvollziehen. Das ist gegenteilig purer Feudalismus. Aber den Feudalismus fürchten Söder und Kollegen bekanntlich nicht. Deswegen regt sich von denen keiner auf.

Moment mal, wie kommt es eigentlich, dass sich die halbe konservative Welt über Enteignungen, die noch nicht annähernd spruchreif sind, so ereifert, wo sie doch im Grundgesetz vorgesehen sind? Wurde die Bundesrepublik etwa von Sozialistinnen und Sozialisten gegründet? Oder sind Union und weite Teile der Sozialdemokraten einfach nur Verfassungsfeinde?

Vier Mythen zur Enteignungsdebatte
Falsche Vergleiche, das vermeintlich arme Berlin und abgestandene Sozialismus-Klischees: in der Enteignungsdebatte wimmelt es von schrägen Argumenten

Die Eltern des Grundgesetzes hatten nach dem Zweiten Weltkrieg einige Ideale vor Augen, die sich aus ihren persönlichen und den kollektiven Erfahrungen nährten. Das Grundgesetz sollte einen neuerlichen Aufstieg des Faschismus verhindern. Es sollte dem Nährboden hierfür, den man im Kapitalismus witterte, die Mineralien entziehen. Ob nun der Kapitalismus immer und in jeder Form zugleich der Vorbote des Faschismus ist, ob die Dimitroff-These also stimmig ist, darüber könnte man jetzt wild diskutieren. Das muss an dieser Stelle allerdings nicht sein.

Was uns interessiert ist der Grundgedanke der Väter und Mütter unseres Grundgesetzes: Eine stabile Ordnung schaffen. Einen weiteren Krieg zu verhindern und Ungleichheiten, die man als Wegbereiter für den Nationalsozialismus betrachtete, schwieriger möglich zu machen: Das beseelte jedenfalls viele der Beteiligten damals. Zu einer stabilen Ordnung im Sinne umverteilender innerer Befriedigung gehörte nun aber auch, dass man unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten Besitz enteignen konnte. So gehe Sozial- und Rechtsstaat unter anderem nun mal.

Denn die unantastbare Endgültigkeit von Eigentum, speziell dann, wenn sie den Interessen der Allgemeinheit im Wege stehen, wenn sie also Ausdruck individueller Bereicherung auf Kosten des Gemeinwesens sind, entspricht nach der Interpretation der Grundgesetzeltern nicht dem demokratischen Prinzip. Ja, ganz im Gegenteil, wenn man den Besitz für sakrosankt erklärt, auch über die Stufe des Gemeininteresses hinaus, könnte das einen Schritt auf undemokratischen Wegen bedeuten. Und genau solche Wege wollte das Grundgesetz ja vereiteln.

Möchte man jetzt denen, die den Enteignungsfreudigen gesellschaftsschädigendes Verhalten nachsagen, mal polemisch unter die Nase reiben, dass eigentlich sie die Gefährder sind, weil sie sich als Verfassungsfeinde in Szene rücken, so müsste man feststellen: Das ist gar keine Polemik, sondern hat durchaus Hand und Fuß. Ja, Söder und die anderen Hüter des Grundgesetzes sind in diesem Sinne Verfassungsfeinde.

Zeit für eine radikale Stadt
Die Kampagne zur Enteignung großer Wohnungskonzerne ist mit einem Namen verbunden: Rouzbeh Taheri

»Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen«, gibt es ein Recht sich zu wehren. Das steht auch im Grundgesetz. Ich bin für die Enteignung als Widerstandsmittel. So wehrt man sich gegen Wohnabzocker ebenso wie gegen jene, die solche Enteignungen verfassungswidrig kriminalisieren möchten. Wahrscheinlich muss man erst die privatisierungswütigen Entscheidungsträger enteignen, bevor man sich an die heranmachen kann, die Reichtum akkumulieren und damit Armut erzeugen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Der Heppenheimer Hiob
- Anzeige -
- Anzeige -