Der Mann, der aus dem Fuchsbau kam

Der Mansfelder Stefan Gebhardt will Landeschef der LINKEN in Sachsen-Anhalt werden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Ende könnte man meinen, Stefan Gebhardt solle gar Generalsekretär der UNO werden. Zwei Stunden hat der 45-Jährige beim »Café mit Links« in Aschersleben den Genossen bei Keksen und Fettbroten die Politik erklärt; es ging um Kommunalfinanzen, das Gesundheitssystem und die Preise für Schulbücher. Nun kommt die Rede auf den Konflikt um Zypern: große Weltpolitik, seit Dekaden ungelöst. Gebhardt umschifft die Klippe und widmet sich lieber einem innerparteilichen »Unruheherd«. In Aschersleben, sagt er, habe die LINKE seit Jahren kein Abgeordnetenbüro mehr; er wolle sich darum nun kümmern. Die Basis ist angetan: »Du bist der erste, der das mal so konkret formuliert.«

Für seinen künftigen Job hat sich Gebhardt an diesem Nachmittag also empfohlen. Am 29. Juni stellt er sich der Wahl als Landesvorsitzender der LINKEN in Sachsen-Anhalt. Er will den Posten von Andreas Höppner übernehmen, der ihn nach nur zwei Jahren abgibt. Der Ex-Betriebsrat und Gewerkschafter aus der Altmark wurde nicht recht warm mit dem erst 2017 angetretenen Amt. Er stöhnte über »tagelange Strategiedebatten« und erklärte, »lieber anpacken statt ewig diskutieren« zu wollen. Der Rückzug kam für die Landespartei überraschend; mögliche Nachfolger standen nicht gerade Schlange. Inzwischen ist klar: Gebhardt tritt an. »Irgendeiner«, sagt er der Ascherslebener Basis, »muss es ja machen«.

Die Genossen sind amüsiert; sie wissen: Der Kandidat kokettiert. Gebhardt ist nicht irgendeiner. Er sitzt seit über 20 Jahren im Landtag, ist ein in den Theatern des Landes geschätzter Kulturpolitiker und als Parlamentarischer Geschäftsführer (PGF) seit 2016 auch Unterhändler für Absprachen mit den anderen Fraktionen. Ein versierter Politiker, freilich bereits jetzt auch ein sehr gut beschäftigter. Neben dem Landtag ist er aktiv in der Kommunalpolitik im Mansfelder Land; zudem gehört er dem Rundfunkrat des MDR und dem Programmbeirat der ARD an. Vater zweier Kinder ist er außerdem. Er weiß, was auf ihn zukommt. »PGF ist ein Vollzeitjob, Landesvorsitzender ist ein Vollzeitjob, die Familie sowieso,«, sagt er. Wie soll das gehen? »Mit einer guten Mannschaft.«

Gebhardts Vorteil ist: Er kann Mitspieler ausfindig machen und sie zum Mitwirken animieren. Das hat er zuletzt bewiesen, als es galt, Kandidaten für die LINKE bei der Kommunalwahl in seinem Heimatkreis Mansfeld-Südharz zu suchen. Die Liste ist ungewöhnlich lang; unter den Bewerbern finden sich Polizisten, Lehrer, Ärzte, aber auch eine in Eisleben stadtbekannte Mundartdichterin, die in der Rolle der Zeitungsfrau Kläre das Volksfest »Eisleber Wiese« eröffnet. Als Grund dafür, dass sie für die LINKE antritt, sagte sie, Gebhardt habe sie »so charmant gefragt«.

Ein Charmeur ist Gebhardt zweifellos. In Aschersleben umwirbt er seine deutlich älteren Zuhörer mit der Auskunft, er sei gekommen, weil man ihm gesagt habe, »dass es hier viele Frauen gibt«. Die »Mitteldeutsche Zeitung« überschrieb einen Artikel über seine Kandidatur mit der Zeile »Omas Liebling« - was ebenfalls auf seine ausgesprochen einnehmende Art zu verweisen schien, obwohl sich die Überschrift tatsächlich auf eine Episode aus seiner Jugend bezog. Gebhardt, dessen Groß- und Urgroßeltern im roten Mansfeld Mitglieder, teils gar Mitbegründer von USPD und KPD waren, sollte nach einer Lesung mit Gregor Gysi ein Autogramm für seine Oma Erna mitbringen - und kam mit dem prominenten Politiker ins Gespräch, weil dieser eine Oma gleichen Namens hatte.

Die Begegnung mochte eine Art Initialzündung für eine politische Laufbahn gewesen sein, die Gebhardt zunächst zu einem linken Jugendverein namens »Rotfüchse« führte. Nach seinem ersten Einzug in den Landtag 1998 erhielt der Verein in Hettstedt mit dem »Fuxbau« ein festes Domizil. Dort engagierte man sich gegen Rassismus oder die Kriege in Afghanistan und Irak, veranstaltete Konzerte mit bekannten Bands wie den »Zöllnern« oder Seminare mit originellen Themen wie »Bier und Gesellschaft«. Der »Fuxbau« brachte buntes Leben in die Kleinstadt - und darf als einer der erfolgreichsten Versuche in Sachsen-Anhalt gelten, jungen Leuten in der Provinz einen unkomplizierten Zugang zu linker Politik zu ermöglichen.

Etliche Prinzipien, die Gebhardt im »Fuxbau« praktizierte, gelten für ihn bis heute und dürften auch sein Selbstverständnis als Landeschef prägen. Eine LINKE, wie er sie versteht, muss charmant und offen sein. Die »erfolgreichste Zeit«, sagt er, habe die Partei gehabt, als sie sich unter dem Slogan »Gysis bunte Truppe« für Parteilose öffnete, für Aktivisten außerparlamentarischer Bewegungen, für Künstler und Intellektuelle - und deren unorthodoxe Ansichten oder ihren Widerspruch nicht scheute. Auf kommunaler Ebene, sagt Gebhardt, »verfolgen wir das schon ganz erfolgreich«. Auf Landesebene gab es einen Anlauf mit einem Parteitag 2018, auf dem keine Grundsatzreden gehalten wurden, sondern Feuerwehrleute, die Leiterin einer Tafel oder ein Fußballtrainer aus ihrem Alltag berichteten. Die Idee zu der ungewöhnlichen Tagung hatte Gebhardt. Der Ansatz: »Leute erzählen uns von ihren Problemen, und wir nehmen das auf.«

Auch die Ortswahl war kein Zufall: Der Parteitag fand in Benndorf statt, einem Ort im Mansfeld - und damit im ländlichen Raum. Dort müsse für seine Partei »das Hauptbetätigungsfeld« sein, sagt Gebhardt. Es geht um die Regionen außerhalb der großen Städte, in denen nach vielen Jahren des Schulsterbens, von Gemeindefusionen, Streckenstilllegungen und wachsendem Ärztemangel der Verdruss über Politik und Demokratie ein gefährliches Maß erreicht hat. Auf dem Land wird sich entscheiden, welche politischen Kräfte Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren prägen. 2016 hat die LINKE dabei einen ernüchternden Rückschlag einstecken müssen; sie habe »eine auf die Nuss« bekommen, wie Gebhardt in Aschersleben deftig formuliert. Bei der nächsten Landtagswahl 2021 soll das wieder anders sein: Man wolle dann wieder »deutlich stärker als die AfD« sein und »wenn möglich auch regieren«, sagt Gebhardt. Man darf wohl sagen: Der designierte Landesvorsitzende versteht es, sich ehrgeizige Ziele zu setzen - auch jenseits der Lösung des Zypern-Konflikts.

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