- Kultur
- Frauenquote bei der "taz"
»Es passierte einfach so«
Journalistinnen schreiben weniger Kommentare als ihre männlichen Kollegen. Die »taz« hat eine Quote eingeführt - und das Verhältnis umgekehrt.
Sie haben im Meinungsressort der »taz« ab diesem April eine Frauenquote für Kommentare eingeführt. Wäre das auch möglich gewesen, wenn das kein mehrheitlich weibliches Ressort gewesen wäre?
Das kann schon gut sein. Wir haben im Ressort viel darüber gesprochen, wie wir es schaffen können, in der täglichen Produktion mehr Frauen aus der Gesamtredaktion für die Kommentare zu gewinnen. Dass wir da ein Problem hatten - gerade in einem so progressiven Laden wie der »taz«! -, hatten wir alle auf dem Schirm. Da schließe ich den einzigen männlichen Kollegen im Meinungsressort mit ein. Aber ja, ich denke, die Quote hätte es mit einer Überzahl an männlichen Ressortmitgliedern nicht gegeben.
Johanna Roth leitet zur Zeit das Ressort Meinung und Diskussion der »taz - die tageszeitung«. Unzufrieden darüber, dass regelmäßig nur ein Drittel der Kommentare von Redakteurinnen geschrieben wurden, entschied sie gemeinsam mit den Ressortkolleginnen und dem -kollegen, eine 50:50-Quote einzuführen.
Die Quote ist ja ein eher konservatives Konzept, wieso haben Sie sich dafür entschieden?
Weil wir gemerkt haben, dass wir mit Bitten und Ansprachen und allen möglichen anderen Wegen keine Parität erreichen. Ich bin eigentlich kein Quoten-Fan, gar nicht. Aber in diesem Fall wollten wir es mal versuchen. Die Quote ist ein Test, wir probieren sie drei Monate aus. Vorher haben wir überlegt, wie radikal wir sie umsetzen wollen. Ich habe mal gewitzelt, dass wir eine Eigenanzeige auf dem Kommentarplatz abdrucken, wenn wir die Quote nicht erreichen. Aber das ist gar nicht notwendig, es läuft sehr gut.
Jetzt ist das Verhältnis 50:50?
An manchen Tagen haben wir die Quote sogar überschritten. In den ersten beiden Aprilwochen lagen wir sogar bei 35 Autorinnen und 29 Autoren. Das haben wir überhaupt nicht forciert, sondern es passierte einfach so. Es läuft besser, als wir es uns vorgestellt hatten.
Moment. Sie haben einfach nur die Quote verkündet, und seitdem schreiben mehr Frauen - ohne andere begleitende Maßnahmen?
Ja, genau, ich bin selbst noch ein bisschen ungläubig. Das ist total faszinierend. Toi, toi, toi, dass es so bleibt. Schon in den ersten Tagen haben sich viel mehr Frauen von alleine gemeldet, und ich glaube, ich habe höchstens einmal zu den Kolleg*innen gesagt: Leute, denkt an die Quote. Es ist wirklich der Effekt, dass die Frauen sich ermutigt, empowered fühlen, Kommentare zu schreiben. Auch gerade Autorinnen, die bisher nicht als Kommentatorinnen in Erscheinung getreten sind, sind zu mir gekommen und haben gesagt: Hey, das sind meine Themen, meldet euch doch mal.
Haben Sie vorher statistisch ausgewertet, wie hoch der Frauenanteil bei Kommentaren war?
Tatsächlich hat eine Kollegin aus dem Ressort seit Januar sehr genau mitgezählt. Im Januar hatten wir 30 Prozent Autorinnen, im Februar waren es etwas über 40 Prozent, im März wieder 30 Prozent.
Was glauben Sie, woran das lag?
Das ist schwierig und komplex. Was man auf jeden Fall beobachten konnte, ist, dass Frauen zurückhaltender waren. Da hieß es oft: Ich bin im Stress, ich möchte das lieber in Ruhe schreiben. Oder: Ich kenne mich da nicht so gut aus, frag doch jemanden, der sich gut auskennt. Von Männern hört man das viel seltener. Die sagen: Ich bin zwar der Textchef heute, aber ich schreib’ das in der Mittagspause, da habe ich ’ne halbe Stunde. Es ist schon auffällig, dass Männer da wesentlich leichtfertiger rangehen als Frauen. Das ist nicht nur bei Kommentaren so. Es gab mal eine Diskussion auf Twitter darüber, wie schwer es ist, Expertinnen zu finden, weil Frauen oft zurückhaltender sind. Männer stecken auch weniger leicht zurück: Wenn Konkurrenz auftaucht, beharren Männer häufiger darauf, dass ihre Meinung ins Blatt kommt. Wir müssen aber auch täglich darum kämpfen, überhaupt Kommentatorinnen zu finden, weil die Redakteurinnen schon einen Bericht schreiben müssen oder als Produzentinnen eingebunden sind. Es ging also um das Bewusstsein: bei den Ressortleitungen, dass die Kolleginnen Zeit für Kommentare bekommen, bei den Männern, dass sie die Meinungsseite dominieren, und bei den Frauen, dass sie sich ermutigt fühlen, ihre Meinung aufzuschreiben.
Gab es noch andere Reaktionen auf die Quote?
Am ersten Tag habe ich mehrere Mails vor allem von Frauen bekommen, die einfach gesagt haben: Toll, dass ihr das macht, ich freu mich total. Und: Ich bin dabei. Ich weiß auch von einer männlichen Ressortleitung, die ihren Kolleginnen gesagt hat: Wenn ihr häufiger kommentieren wollt und dafür mehr Zeit braucht, dann kriegen wir das hin. Es gab aber auch eine Reaktion von einem Kollegen, der fragte, ob dann jetzt häufiger Leute fachspezifische Themen kommentieren, von denen sie nicht so viel Ahnung haben. Ihm haben wir erklärt, dass ihm nichts weggenommen werden soll, und dass vielleicht mal ein etwas weniger naheliegendes Thema kommentiert wird, damit es jemand anderes schreiben kann.
Es gab keine Reaktionen der Art, es sei doch egal, ob Männer oder Frauen einen Kommentar schreiben?
Nö, bis jetzt hat das niemand gesagt. Bei uns ist die Hälfte der Redaktion weiblich, aber diese Hälfte schreibt nur ein Drittel der Kommentare. Ich habe auch den Eindruck, vielen ist bewusst, dass das ein Problem ist. Wir reden viel darüber in der »taz«, ich hoffe, das ist Thema in jeder Zeitung, wie präsent Frauen im Blatt sind - sei es als Autorinnen oder auf Fotos. Das ist ja der Klassiker, männliche Politiker machen irgendwas, und dann ist die ganze Zeitung voll mit Bildern von Männern. Das fällt auf.
Was sagt die Chefredaktion zur Quote?
Die Idee kommt von uns als verantwortliches Ressort. Die Chefredaktion hat uns aber ausdrücklich darin bestärkt, sie umzusetzen.
Und wie geht’s weiter, wenn die drei Monate um sind?
Unser Wunsch ist, dass die Quote sich bis dahin etabliert hat. Es geht darum, eine Tür aufzustoßen, hinter die eigentlich schon alle blicken und von der alle wissen, dass wir da hinwollen. Und wie gesagt, es läuft ja jetzt schon sehr gut. Von daher habe ich wenig Zweifel, dass es auch ohne Quote klappen kann.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.