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Träumerei zur Unzeit

Borussia Dortmund verschenkt in Bremen wohl endgültig die Meisterschaft

  • Frank Hellmann, Bremen
  • Lesedauer: 4 Min.

Vorweg: Zwischen dem sonst toleranten Bremer Stadionsprecher Arnd Zeigler und Teilen des Dortmunder Anhangs sind am Samstagabend unüberbrückbare Differenzen entstanden. »Ihr seid keine Fußballfans«, urteilte der mit dem SV Werder verbundenen Kultmoderator, nachdem die unter dem Dach der Westkurve des Weserstadion gezündeten Bengalos einen üblen Gestank angerichtet hatten, der wohl bis zur Sprecherkabine zog. Ziemlich daneben.

Gleichwohl gelungen, weil über das Wochenende zutreffend, wirkte jene Botschaft, die in gelben Großbuchstaben auf schwarzem Grund vor dem Gästeblock gepinselt war: »Es ist erst vorbei, wenn’s vorbei ist.« Auch nach dem vermaledeiten 2:2-Remis nach einer scheinbar beruhigenden 2:0-Führung beim SV Werder hing diese Erkenntnis so hartnäckig über Borussia Dortmund wie die Wolken mit den Hagel- und Graupelschauern über dem Bremer Osterdeich.

Der Fußballlehrer Lucien Favre schien jedenfalls davor gefeit, im Gegensatz zum verlorenen Revierderby in der Vorwoche zu früh die weiße Fahne zu hissen. »Es sind noch zwei Spiele. Wir müssen gegen Düsseldorf gewinnen, Bayern in Leipzig verlieren. Wir sind keine Träumer, aber man weiß nie!«, beteuerte der 61 Jahre alte Schweizer. Seine Mannschaft wirkte indes ähnlich angeschlagen wie die erkältete Stimme des frankophon geprägten Fußballlehrers, über dessen Zukunft zeitnah - mit der Tendenz zur Vertragsverlängerung - gesprochen werden soll. Ausgerechnet Favres Landsleute hatten echten Käse gespielt.

Einen Distanzschuss des eingewechselten Kevin Möhwald ließ Torwart Roman Bürki im Stile »Flutschfinger« durch Handschuhe und Beine rauschen (70.), dann fiel Verteidiger Manuel Akanji in den Schlaf des Gerechten, weil er gegen Ludwig Augustinsson den Ball ins Toraus trudeln lassen wollte, doch der schwedische Linksverteidiger legte lieber zurück und Joker Claudio Pizarro schoss im zarten Alter von 40 Jahren das 2:2 (75.). Es wirkte wie eine bittere Pointe, dass ausgerechnet jene lebende Torjägerlegende, die der FC Bayern nach der Karriere als Markenbotschafter einspannen möchte, wie schon im DFB-Pokal den Spielverderber für Dortmund mimte.

»Individuelle Fehler in der Form werden bestraft. Keine Diskussion: Roman muss den Ball halten. Manuel hat sich verschätzt und den Ball erst wieder scharf gemacht«, mäkelte Sportchef Michael Zorc in Richtung zweier Führungsspieler, die einem gewiss nicht souverän spielenden Tabellenführer aus München die Meisterschale auf dem Silbertablett servieren. »Natürlich ist Bayern absolut in der Pole Position und hat die nun noch ausgebaut«, meinte Zorc. Und fügte in Favres Wortlaut an: »Wir sind keine Träumer.«

Träumereien zur Unzeit haben den BVB im Titelrennen abgehängt zurückgelassen. Wer glaubt daran, dass der FC Bayern in Leipzig und gegen Frankfurt nur einen Punkt und der BVB gegen Düsseldorf und in Mönchengladbach die Sechs-Zähler-Ausbeute einfährt? Die Hoffnungen auf die neunte Meisterschaft sind eher theoretischer Natur. Zu wuchtig wirkte ein weder erklär- noch vorhersehbarer Nackenschlag. Bis auf Milot Rashica konnte anfangs kein Bremer das Dortmunder Tempo mitgehen. Und doch hatte sich jeder zu früh gefreut, der über eine Wiedergeburt der Dortmunder Dominanz aus der Hinrunde schwärmte, die ein beherztes Solo von Christian Pulisic (6.) und ein gekonnter Freistoß von Pablo Alcacer (41.) fast unzureichend ausdrückten.

Dennoch brach Dortmunds Gebilde wie ein Kartenhaus beim ersten Windstoß ein. Bremens Trainer Florian Kohfeldt ahnte nach eigenem Bekunden mit seinem Assistenten Tim Borowski Mitte der zweiten Halbzeit, dass eine überraschende Aktion genügen könnte, in dieses verlorene Spiel zurückzukehren. So kam es. Dass der Gast sogar hätte verlieren können, wenn der gute Schiedsrichter Marco Fritz nach einem Handspiel von Mario Götze und dem Videostudium (fälschlicherweise) auf Elfmeter entschieden oder Phänomen Pizarro seine letzte Kopfballchance in der Nachspielzeit genutzt hätte, macht es nur noch schlimmer. Nicht mal die demonstrative Präsenz des gesperrten Marco Reus, der sich direkt neben die Auswechselbank setzte, vermittelte genügend Halt.

Und so eröffnete der als Anführer vergangenen Sommer aus Bremen verpflichtete Thomas Delaney die Mentalitätsdebatte. »Es kommt Druck vom Gegner, aber mit der Qualität, die wir haben, müssen wir es besser machen. Es fühlt sich an wie eine Niederlage. Wir haben eine zweite Chance bekommen, die haben wir verpasst«, sagte der Däne, der von bedrückender Stille in der Kabine berichtete. »Es ist ein Gefühl, als wenn es vorbei ist.« Bei all dem Rauch hatte Delaney beim Einlaufen den flehentlichen Appell der Dortmunder Anhängerschaft ans Durchhaltevermögen wohl gar nicht erkannt.

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