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Europa to go: Was dich die EU-Wahl angeht
Europa? Was hat die EU mit mir zu tun? Eigentlich ganz schön viel. Etwa zwei Drittel der Gesetze in den Ländern der Europäischen Union gehen auf Entscheidungen »aus Brüssel« zurück oder werden davon beeinflusst. Aber die EU heißt für uns auch, ohne Grenzen zu reisen, Austauschprogramme zu machen oder in einem anderen Land zu studieren, zu arbeiten, zu leben.
Am 26. Mai wird in Deutschland für das neue Europäische Parlament abgestimmt. Fast hundert deutsche Politiker*innen werden dann in Brüssel ins Parlament einziehen. Aber wie wird abgestimmt, wer wird gewählt und was macht das EU-Parlament überhaupt? Geht mit unseren fiktiven Jugendlichen auf eine Reise durch Europa.
Good-bye repräsentative Demokratie?
Und was hat das alles mit mir zu tun?
Was ist das EU-Parlament?
Mit meiner Klasse waren wir auf Abschlussfahrt in Brüssel. An einem Tag konnten wir das Europäische Parlament besichtigen. Ein junger Mann hat uns durch die riesigen Gebäude geführt. So viele Menschen in Anzügen und Kostümen auf einem Haufen hatte ich noch nie gesehen. Mehr als 10 000 Leute arbeiten hier, erfuhren wir. Kein Wunder, dass der Plenarsaal, wo sich die Politiker*innen für Abstimmungen treffen, auch so groß ist.
Ungefähr 1000 Plätze für die 751 Abgeordneten, Besucher*innen und Journalist*innen gibt es. Hinter den Glaswänden an den Seiten sind Kabinen für die Übersetzer*innen. Die übersetzen live in die Kopfhörer, wenn eine Politikerin oder ein Politiker in der jeweiligen Muttersprache Reden halten und die anderen die Sprache nicht sprechen. Als der junge Mann uns weiter herumführte, kamen wir an Fotos von allen ehemaligen Präsidenten vorbei. Das letzte Bild ist von Martin Schulz, dem SPD-Politiker, der hier bis 2017 Präsident war.
Eigentlich müssen die Leute, die im Parlament arbeiten, nie aus dem Gebäude heraus, dachte ich, als wir mit dem Angestellten durch das Erdgeschoss liefen. Cafés, eine Kantine, ein Friseur, eine Reinigung und Restaurants gibt es hier. Im Keller, erzählte er uns, gibt es sogar einen kleinen Supermarkt.
Jana, 17 Jahre
Fakten: Vorschläge für neue oder geänderte Gesetze kommen von den anderen beiden Institutionen, der Kommission und dem Rat, dem Gremium der Regierungen. Denn selbst darf das EU-Parlament keine Gesetze vorschlagen. Wie im Bundestag gibt es Fraktionen von links, grün über konservativ und extrem rechts, die nur etwas anders heißen. Die Abgeordneten treffen sich in Ausschüssen, etwa zu Menschenrechten oder Finanzen. Wenn sie dort etwas beschließen, wird danach im Plenum in großer Runde über den neuen Vorschlag abgestimmt.
Wie wird gewählt?
Alle fünf Jahre können die Bürger*innen der Mitgliedsstaaten das Europäische Parlament wählen. Das ist ziemlich toll, weil jeder Mensch in der EU dadurch mitbestimmen darf, welche Richtung die Politik einschlagen soll. Deswegen dürfen auch alle wählen, die am Tag der Wahl mindestens 18 Jahre alt sind. Außerdem muss man wenigstens drei Monate am Stück in Deutschland oder einem anderen EU-Land gelebt haben. Das gilt natürlich auch für alle anderen Bürger*innen der EU, die zum Beispiel gerade in Deutschland sind. Ich darf dieses Jahr also zum ersten Mal wählen, zusammen mit meinem französischen Freund, der mich gerade für ein paar Monate besucht. Sonst haben wir erst wieder in fünf Jahren die Chance, wenn die nächsten EU-Wahlen sind. Wer weiß, was bis dahin politisch los ist.
Was ich gut finde ist, dass betreute Menschen in Deutschland, also Menschen mit Behinderungen, die eine*n Betreuer*in haben, jetzt zum ersten Mal auch wählen dürfen. Gewählt werden können alle Menschen, die auch selber wählen dürfen. Dafür muss man aber gar nicht drei Monate im EU-Gebiet gelebt haben.
Wegen des Brexits werden übrigens ein paar Sitze im Parlament frei. Die werden aber zum einen auf Länder verteilt, die etwas unterrepräsentiert sind, weil in den letzten Jahren die Bevölkerung gewachsen ist (zum Beispiel Frankreich, Polen oder Irland), und die anderen werden einfach abgebaut und eingelagert.
Nael, 18 Jahre
Fakten: Vom 23. bis 26. Mai 2019 wird das Europäische Parlament gewählt. In Deutschland und Österreich wählen die Bürger*innen am 26. Mai. 751 Sitze gibt es im EU-Parlament, die unterschiedlich auf die Länder verteilt werden. Je mehr Einwohner*innen ein Land hat, desto mehr Sitze bekommt es. Deutschland erhält als bevölkerungsreichstes Mitgliedsland nach dem Vertrag von Lissabon 96 Sitze. Das geringste Mitbestimmungsrecht haben Zypern, Estland, Luxemburg und Malta. Sie haben derzeit jeweils sechs Sitze.
Parteienfamilien in Europa
Parteien finde ich eigentlich ziemlich öde. Sind mir einfach zu langweilig mit ihren Parteitagsreden, bei denen immer dasselbe gesagt wird. Politik mache ich lieber direkt auf der Straße: bei Demos oder Sitzblockaden. Ich weiß ja, dass ins Europaparlament nur Parteien oder sogenannte politische Vereinigungen gewählt werden können, die auch so eine Art Parteien sind. Und für den ganzen Organisationskrams, Wahlkämpfe und so, Geld ranschaffen für die Mitarbeiter*innen, brauchen die natürlich einen Apparat, den die Bewegungen nicht haben. Aber die Kohle kriegen die doch von der EU, oder?
Die Parteien, die die gleichen Ziele haben, arbeiten auch europaweit zusammen und nennen sich dann Europäische Politische Partei. Zum Beispiel als Europäische Grüne Partei oder als Sozialdemokratische Partei Europas. Im Parlament sitzen die Parteien dann in einer Fraktion zusammen, bei den Grünen oder bei den Sozialisten & Sozialdemokraten.
Ich fände es cool, wenn auch einmal Protestbewegungen direkt »von der Straße« ins Europaparlament einziehen würden. So wie bei der Linksfraktion, da sind ja die Podemos-Leute drin, die früher mal in Spanien damit angefangen haben, Plätze zu besetzen, weil die Jugendarbeitslosigkeit so hoch ist und der Staat überall nur sparen will. Die haben sich auch selbst über das Internet und die sozialen Medien organisiert.
Jonas, 22 Jahre
Fakten: Europaparteien können nicht direkt gewählt werden, sondern nur ihre nationalen Mitgliedsparteien. Nach einem speziellen Verteilungsschlüssel erhalten die Europäischen Politischen Parteien für ihre Arbeit Finanzmittel aus dem EU-Haushalt. Europäische Politische Parteien, auch Europaparteien genannt, sind länderübergreifende Bündnisse nationaler Parteien, die im Wesentlichen dieselben Ziele verfolgen. Im EU-Parlament gibt es mehrere Fraktionen mit Vertreter*innen dieser Europaparteien.
Good-bye repräsentative Demokratie?
Ich war nie so richtig begeistert von der repräsentativen Demokratie – zu weit weg, zu abstrakt, zu kompliziert. Aber ich dachte, immerhin scheint›s ja irgendwie zu laufen. Besser als gar keine Demokratie. Bis 2016. Dass die Mehrheit der Menschen in Großbritannien für den Brexit stimmt, habe ich für unmöglich gehalten. Dann haben sie es doch getan. Donald Trump als US-Präsident? Niemals, dachte ich mir. Bis es doch soweit gekommen ist. Und dann kam die AfD. Zog gleich als drittstärkste Kraft in den Bundestag ein. Geht‹s noch? Überhaupt, in Europa sprießen diese Rechtspopulisten wie Pilze aus dem Boden. In Polen und Ungarn wird gerade der Rechtsstaat untergraben. Good-bye repräsentative Demokratie also?
Ich als Millenial gehöre zur »Generation Praktikum«. Seit der Finanzkrise 2008 ist die Jugendarbeitslosigkeit in Europa extrem gestiegen, besonders schlimm ist die Situation in Spanien, Griechenland, Kroatien, Italien und Portugal.
Durch die wirtschaftliche Stagnation der letzten Jahre haben wir nicht mehr denselben Zuwachs an Lebensqualität zu verbuchen wie früher. Aber das auf Geflüchtete zu schieben und Rassist*innen in die Parlamente zu wählen, die diese Probleme durch Abschottung lösen wollen, scheint mir ein bisschen sehr vereinfacht. Es bräuchte also wieder mehr Bewegungen, die näher an den EU-Bürger*innen dran sind. Ich werde mich informieren, wo ich mich engagieren kann.
Aylin, 23 Jahre
Fakten: Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Bewegungen und Organisationen, die den Parteien Konkurrenz machen. Nur einige davon: Volt, DiEM25, Pulse of Europe, Stand Up For Europe und #WeEuropeans.
Und was hat das alles mit mir zu tun?
Wie genau es nach der Schule weitergehen soll, weiß ich noch nicht. Ich würde gerne reisen und mal in einem anderen Land wohnen. Meine Eltern können mir aber kein Geld dazugeben, deswegen habe ich mal rumgesurft, was ich machen könnte. Von der EU gibt es zwei Programme, die sich ganz gut anhören. Man kann einen Freiwilligendienst in einem anderen EU-Mitgliedsland machen. Zwischen zwei und zwölf Monaten bekommt man dann Unterkunft, Verpflegung, Versicherung und manchmal eine Art Taschengeld gezahlt. Das Programm heißt »Europäisches Solidaritätskorps«. Klingt nach Armee, hat aber eher mit sozialen Projekten zu tun. In lokalen Initiativen und Schulen kann man da arbeiten, oder beim Wiederaufbau nach Naturkatastrophen. Dann gibt es noch das »Interreg Volunteer Youth«-Programm. Das gehört auch zum Solidaritätskorps, aber da arbeitet man in Grenzregionen zwischen zwei EU-Mitgliedsländern. Sogar in Guadeloupe, einem französischen Überseedepartment, gibt es ein Projekt.
Die große Schwester einer Freundin von mir macht gerade »Erasmus« in Barcelona. Damit kann man ein Praktikum oder Auslandssemester in Europa machen. Das geht aber nur für die, die studieren, an der Berufsschule sind oder eine Ausbildung machen. Vielleicht mache ich das später mal, da kriegt man auch Geld von der EU dazu, aber nur wenig.
Maja, 18 Jahre
Fakten: Unter solidaritaetskorps.de und interregyouth.com gibt es mehr Infos, wie und wo man als Freiwillige arbeiten kann. Eine der wenigen Vorbedingungen ist, dass man zwischen 18 und 30 Jahre alt sein muss.
Wie entstehen EU-Gesetze?
Etwas kompliziert ist es und kann dauern, bis ein Gesetz verabschiedet wird. Das Gesetzgebungsverfahren wird in Brüssel »OLP« (Ordinary Legislative Procedure) genannt.
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