Schlecht beraten

Die Mängel der Doktorarbeit von Familienministerin Franziska Giffey werfen auch Fragen nach dem Exzellenzkurs der Hochschulen auf

Die Entscheidung über den Doktortitel von Franziska Giffey trifft am Ende die Freie Universität in Berlin, wo die Familienministerin von 2005 bis 2010 promoviert hat. Aber welche Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens sie dabei zu bewerten hat, das ist seit dieser Woche auf der Plattform Vroniplag in neuen Details nachlesbar. Im Februar waren die Plagiatsjäger zum ersten Mal mit ihrem Verdacht an die Öffentlichkeit gegangen, nun dokumentieren sie in einem vorläufigen Bericht über Giffeys Dissertation Dutzende weitere Belege für wissenschaftliches Fehlverhalten.

Sie ist nicht die erste deutsche Politikerin, die wegen ihrer Dissertation Probleme bekommt. Der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und die ehemalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) waren ebenso betroffen wie viele andere auch.

Giffey schrieb über »Europas Weg zum Bürger - Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft«. In dieser Arbeit fanden die akribischen Prüfer von Vroniplag bis jetzt auf mehr als jeder dritten Seite Plagiatstext. Als besonders problematisch stufen die Experten willkürliche und fehlerhafte Quellenangaben ein. Dadurch erweckt Giffey den Eindruck, weit mehr Forschungsliteratur gelesen zu haben, als dies wohl tatsächlich der Fall gewesen ist.

Neu ist, dass sie auch die Betreuer der Doktorarbeit in die Verantwortung nehmen, die die Arbeit mit dem zweitbesten Prädikat Magna cum laude geadelt hatten. Auch ohne eine »zeitaufwändige Untersuchung« hätten nach Ansicht von Vroniplag die gravierenden Fehler auffallen müssen. In diesem Fall wäre es möglich gewesen, »der Promotionskommission die Rückgabe der Dissertation zur Beseitigung der Mängel und deren Wiedervorlage zu empfehlen«, heißt es in dem Bericht. Dass sie nicht auffielen, was sagt das über die Qualität der Betreuung?

Für die Freie Universität ist der prominente Plagiatsfall unangenehm, ganz besonders aber für die Erstgutachterin Tanja Börzel, Politikprofessorin am Otto-Suhr-Institut (OSI), Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration und vor allem: Sprecherin eines Exzellenzclusters der FU. Gerade erst hat sie ein neues millionenschweres Exzellenzcluster an Land gezogen, das unter dem Titel »Herausforderungen der liberalen Ordnung« den Aufstieg der rechtspopulistischen Bewegungen in Europa untersuchen will.

Börzel, seit Dezember 2004 am OSI tätig, kam zu einer Zeit, als das traditionsreiche Politikinstitut grundlegend umstrukturiert wurde. Nicht nur Studierende kritisierten die neue, auf Exzellenz und Leuchttürme getrimmte Hochschule, in der die Qualität von Wissenschaft an quantifizierbaren Kennzahlen wie Drittelmitteln sowie Anzahl der Promotionen und Publikationen gemessen wird, statt an kritischen Inhalten. Das OSI verlor in diesen Jahren nicht nur die Hälfte seiner Professuren bei gleich bleibenden Studierendenzahlen, sondern auch seinen pluralistischen Charakter. Der Neuausrichtung auf Internationale Beziehungen wurden wichtige Bereiche wie Politische Theorie, Politische Ökonomie oder Gewerkschaftsforschung geopfert, die mit Namen wie Elmar Altvater, Wolf-Dieter Narr, Bodo Zeuner oder Peter Grottian verbunden waren.

Franziska Giffey promovierte berufsbegleitend von 2005 bis 2010, als das OSI diese massive Umstrukturierung erfuhr. Hauptberuflich war sie damals Europabeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln. Drei Monate nach der Geburt ihres Sohnes reichte sie ihre Dissertation ein.

Peter Grottian, inzwischen emeritiert, meldete sich kürzlich in einem Gastbeitrag für die »Süddeutsche Zeitung« in der Sache Giffey zu Wort und macht darin auch die Erstgutachterin für die Mängel der Arbeit mit verantwortlich. Der frühere OSI-Professor findet allerdings etwas anderes als die Plagiatsjäger von Vroniplag besonders bedenklich: So habe Giffey eine Fallstudie über ihr eigenes Arbeitsfeld im Bezirksamt Neukölln verfasst, moniert Grottian und äußert starke Zweifel an der nötigen Distanz zum Gegenstand. Vor diesem Fallstrick hätte sie die Doktormutter bewahren müssen, meint der Professor.

Plagiiert wurde sicher schon früher, aber beim Fall Giffey geht es nicht nur ums Aneignen fremder Gedanken, sondern schon um Herangehensweise und Themengestaltung. Dies wirft denn nicht nur Fragen nach wissenschaftlichen Standards und Doktortiteln als Statussymbol auf, sondern auch, wie weit die Exzellenzorientierung von Hochschulen und der damit verbundene Druck auf quantifizierbare Leistungen an anderer Stelle Kosten verursacht, etwa wenn zu wenig Raum bleibt, um Promotionen vernünftig zu betreuen. Giffey betonte bislang, sie habe die Arbeit »nach bestem Wissen und Gewissen verfasst«. Wie gut sie dabei begleitet wurde, weiß man nicht. Weder die SPD-Ministerin noch ihre Doktormutter lassen sich dazu ein.

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