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  • Operation »Aderlass«

Der Doktor ist schuld

Auch der ehemalige Radprofi Danilo Hondo war Kunde des Erfurter Dopingarztes

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Operation »Aderlass« zieht größere Kreise. Nicht nur Radprofis aus Österreich und Skilangläufer aus der Alpenrepublik und aus Estland gehören zum Kundenkreis des früheren Teamarztes des Profiradteams Gerolsteiner. Das TV-Geständnis des aus Guben stammenden und jetzt in der Schweiz lebenden Danilo Hondo bestätigte die lange gärenden Vermutungen, dass auch deutsche Radprofis mit Mark S. gearbeitet haben. Ihr Ziel: Blutdoping, also Blutentnahme, Lagerung der Blutbeutel und Rückführung kurz vor den Rennen. Das ganze Paket.

»Die Entnahme ist immer passiert in einem Apartment in der Nähe von Frankfurt. Die Rückführungen waren dann unterschiedlicherweise mal in einem Camper, mit dem wir zu den Rennen gekommen sind, oder im Hotelzimmer«, erzählte Hondo am Wochenende freimütig ARD-Dopingreporter Hajo Seppelt. »Drei oder vier Entnahmen« gab Hondo zu sowie Zuführungen beim Eintagesklassiker Mailand-San Remo, vor weiteren Frühjahrsrennen in Belgien und der Tour de France. 30 000 Euro habe er dafür gezahlt. Das war der Preis fürs Blut, fürs eigene Blut, vor allem aber für das Schweigen. Die Kommunikation lief über ausländische Telefonnummern, kroatisch oder slowenisch, so genau erinnert sich Hondo offenbar nicht mehr.

Für das Geständnis ließ sich der frühere Sprinter reichlich Zeit. 2011 schon soll das Doping stattgefunden haben. Hondos Karriere neigte sich damals dem Ende zu. »Da war die Hoffnung, vielleicht doch noch mal länger oder besser fahren zu können, um vielleicht noch mal einen besseren Vertrag zu erhaschen«, nannte er als Motivation. Geradezu drollig ist, dass er die Geschichte so erzählt, als hätte der Arzt ihn mächtig zum Dopen überreden müssen. Mark S. habe »vehement versucht, Druck auszuüben, dass das schon eine Geschichte ist, die Sinn macht, die doch sehr weit verbreitet ist, dass mir klar sein müsse, dass alle Sportler, wenn ihnen die Möglichkeiten offenstehen, das praktizieren«, sagte Hondo. Er bescheinigte dem Dopingdoktor »unwahrscheinliche Überzeugungsarbeit«. Und dieser habe ihm auch »als Arzt glaubwürdig versichert, dass doch so viele das Doping betreiben würden, auch Blutdoping«.

Für diese Auskunft hätte Hondo sicher nicht zu Schmidt gehen müssen. Er hätte auch die Teamführung seines damaligen Arbeitgebers Lampre fragen können. Der italienische Rennstall stand genau 2011, als Hondo sich angeblich zur geheimen Zusammenarbeit mit dem Erfurter Arzt entschloss, wegen einer eigenen Dopingaffäre gewaltig unter Druck. Insgesamt 18 Radprofis, viele davon mit aktuellen oder früheren Verträgen bei Lampre, wurden verdächtigt, beim Apotheker Guido Nigrelli in einem Dorf in der Po-Ebene Dopingprodukte geordert zu haben.

Wegen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatte Lampre große Probleme bekommen, den neun Mann starken Kader für den Giro d’Italia 2011 vollzukriegen. Hondo, damals nicht in die Affäre verwickelt, war dabei. Ebenso Michele Scarponi, ein Kunde des berüchtigten spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes. Scarponi hatte seine Sperre aber bereits abgesessen. Wenn Hondo jetzt aussagt, er wisse nicht, ob jemand vom Team sein Doping mitbekommen habe, dann hat das schon einen hohen Humorfaktor. Hier waren offenbar wissende Wegschauer unter sich.

Trotz des öffentlichen Drucks und der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen seinen Rennstall habe sich Hondo damals also zum Individualdoping entschlossen, versichert er. Das zeugt entweder von einer gehörigen Portion Chuzpe. Oder seine aktuelle Beichte ist nicht vollständig.

Von außen stellt sich die Karriere des Gubeners wie ein Orientierungslauf durch den Dopingsumpf des Radsports dar. 1997 und 1998 war er bei Team Agro Adler; das hatte ein Jahr später den Dopingfall Uwe Ampler zu verkraften. 1999 wechselte Hondo zum Team Telekom, rückblickend ein veritabler Epo-Doping-Rennstall. Hondo allerdings beteuert jetzt: »Es ist wirklich so gewesen, dass nicht alle Sportler involviert gewesen sind. Das war mein persönlicher Eindruck. Ich war nie direkt mit Doping in Verbindung.«

2004 und 2005 fuhr er für Gerolsteiner. In dieser Zeit lieferte er selbst eine positive Dopingprobe ab: auf das in den 1980ern in der Sowjetunion entwickelte Stimulans Carphedon. Möglicherweise stammte es aus einer kontaminierten Nahrungsergänzung; Hondo selbst ging damals davon aus, dass das Mittel von einem russischen Teamarzt kam. Gerolsteiner fiel nach Hondos Weggang noch durch ein eigenes Dopingprogramm auf - mit Mark Schmidt als Mannschaftsarzt. Er kam 2006 zum Team.

Nach mehreren Einjahresverträgen bei verschiedenen Rennställen blieb Hondo dann drei Jahre lang bei Lampre, dem Team mit der Dorfapotheke. Die Karriere ließ er bei Lance Armstrongs Rennstall Radioshack ausklingen. Was könnte der Mann erzählen!

Ein Geständnis lieferte er jetzt aber nur zu den Vorwürfen, die ihm konkret nachzuweisen sind. Zur TV-Beichte entschloss er sich, als er erfuhr, dass Mark S. den Ermittlern Hondos Namen preisgegeben hatte. Da erst spürte er Verantwortung aufsteigen für die Schweizer Radsportler, die er nun nicht mehr als Nationaltrainer betreuen darf.

Eine frühere Beichte wäre ehrlicher gewesen. Sie hätte Hondo aber aller Wahrscheinlichkeit nach den Weg auf den Funktionärsposten im Schweizer Radsport verstellt. Interessant ist, dass er 2012, zu einem Zeitpunkt, an dem er angeblich die Zusammenarbeit mit S. gerade eingestellt hatte, zu einer Generalamnestie aufrief, Stichtag 31. Dezember 2012. Wer bis dahin Doping zugebe, komme ungeschoren davon. Alle, die danach mit hartem Doping auffielen, sollten für vier Jahre aus dem Verkehr gezogen werden, lautete sein Vorschlag. Das passte perfekt zu den persönlichen Umständen.

Über die egoistische Komponente hinaus steckt aber auch Potenzial in diesem Vorschlag. Denn ein rationaler Umgang mit Dopingsündern fehlt im Radsport weiterhin. Manche werden zeitlebens verteufelt, andere haben Moderatorenjobs im Fernsehen oder sind bei Rennställen angestellt. Und das meist ohne die große Beichte und ohne eine glaubwürdige Versicherung, sich von der Betrugsmentalität befreit zu haben.

In einem weiteren Punkt sollte man Hondo ernst nehmen. Das Muster, das seiner Zusammenarbeit mit dem Erfurter Arzt zugrunde liegt, ist ein latentes Problem: Sportler, die vor dem Vertragsende stehen, sind oft versucht, mit dem Griff in den Medikamentenkoffer zu guten Resultaten und damit zu einer besseren Position im Verhandlungspoker zu kommen. Wie sehr generell der Leistungsdruck Athleten zusetzt, ist gut im Buch »Dominik Nerz. Gestürzt« des ARD-Journalisten Michael Ostermann nachzulesen. Ex-Bora-Kapitän Nerz beschreibt hier die psychischen und körperlichen Notzustände - Magersucht in seinem Fall -, in die Profis geraten können.

Unterhalb der Pro Tour ist der Druck sogar noch größer. Hondo, durchaus ein heller Kopf, beschrieb 2015, wie in Teams der unteren Kategorien Fahrer und deren Familien Teile ihrer Gehälter an die Teammanager zurückzahlen, um überhaupt einen Platz im Berufsradsport zu finden. Da ist der Anreiz groß, alles zu tun, nur um weiter dabei bleiben zu können. Das späte Geständnis des Danilo Hondo macht auch auf die Strukturprobleme des Profiradsports aufmerksam.

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