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- Horrorfilm »The Silence«
Schnatter! Krächz! Schnarch!
Schweigen ist Gold: Im Horrorfilm »The Silence« attackieren extrem lärmempfindliche fledermausähnliche Monster die Welt
Je mehr es kriselt in der gesellschaftlichen Realität, desto mehr boomt das Horrorfilmgenre. Die Kunst, sie bildet immer auch Ängste ab, die uns umtreiben: die Angst vor einer Invasion, vor dem Zusammenbruch einer halbwegs funktionierenden Gesellschaftsordnung, vor dem Weltende. Die Angst vor dem, was auf uns zukommt, was uns bevorsteht, muss sublimiert werden. Der Apokalypse-Thriller »The Silence« deutet bereits in seinem Vorspann an, wohin die Reise geht. In diesem nämlich werden Bilder von Krieg und fortschreitender Umweltzerstörung mit solchen vermengt, in denen Tiere sich jenen Raum zurückerobern, den der Mensch zerstört hat: Die Zivilisation bzw. das, was der Mensch so nennt, kommt an ihr Ende. Bald übernimmt wieder die Barbarei, so lautet die Botschaft.
Die Geschichte geht so: Einer Unzahl ebenso unansehnlicher wie mordlustiger gnomartiger Flugtiere ist es gelungen, aus einer bislang unzugänglichen urzeitlichen Höhle zu entkommen, weil brummdumme Forscher ein Loch hineingeschlagen haben, um zu gucken, was drin ist in der Höhle. Die Folgen sind nicht schön: Die so gut wie blinden, dafür aber ein extrem feines Gehör besitzenden Kreaturen, die aussehen wie eine Kreuzung aus Gremlin, mutierter Fledermaus und Franz-Josef Strauß, fallen scharenweise über die menschliche Zivilisation her und machen fortan anderthalb Stunden lang sowohl fiese Krächz-, Schnatter-, Schnorchel- und Schnarchlaute als auch ungustiöse Zerfleischungsgeräusche beim gemeinschaftlichen Zerhacken der menschlichen Körper. Mittendrin im Ausnahmezustand ist unsere wohlhabende bürgerliche All-American Family aus New Jersey, die fassungslos vor der heimischen Glotze hockt und üble Nachrichtenbilder sehen muss, während am nächtlichen Himmel die Helikopter der US-Armee kreisen. Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage: Bitte alle im Haus bleiben und keine Geräusche machen! Tja, leichter gesagt als getan.
Unsere Familie begibt sich (mit gehörloser Tochter, versteht sich) entgegen der staatlichen Anordnungen auf die Flucht, weg aus New Jersey, raus aufs Land, irgendwo in die Einöde, wo es, so ist anzunehmen, stiller ist, wo die Zahl der potenziellen Lärmquellen geringer ist. Papa, Mama, Schwiegermama, Kinder und der Familienhund können sich sogar in Gehörlosensprache verständigen, was ihnen einen eminenten Vorteil verschafft in einer Welt, in der auf jedes unbedachte Hüsteln eine Attacke der Flugmonster erfolgen kann, die zwangsläufig in einem Gemetzel endet. Also aufgepasst: Wer im stillen Wald zur falschen Zeit einen Asthmaanfall bekommt oder einen possierlichen, aber stupiden Hund, der sich das Bellen nicht verkneifen kann, dabeihat, hat keine allzu hohe Überlebenschance. Die widerlichen Flugviecher haben ja stets gespitzte Ohren.
Eine besondere Rolle ist im Film daher auch dem Mobiltelefon zugedacht, das einst den Siegeszug des technischen Fortschritts und der grenzenlosen Kommunikation symbolisierte. Hier wird es in einer denkwürdigen Szene zum Sinnbild für den Rückfall in die Barbarei und den Terror der permanenten Erreichbarkeit: Einem Kind hat man einen Gürtel nach Art eines Selbstmordattentäters um den Leib gebunden, nur dass an der Stelle, wo sich für gewöhnlich der Sprengstoff befindet, eine Handvoll Handys angebracht ist. Was passiert, wenn sie klingeln, ist nicht allzu schwer zu erraten.
»The Silence« ist aus mindestens zwei anderen Filmen zusammengeklaut, das merkt man rasch: aus Alfred Hitchcocks »Die Vögel« (1963) und dem Horrorthriller »A Quiet Place« (2018). Vom einen hat er den Einfall übernommen, dass unberechenbares Getier aus heiterem Himmel den Menschen angreift, vom anderen die gute Idee, dass jedes unfreiwillig vom Menschen erzeugte Geräusch zu seinem sofortigen Tod führen kann. In einem Filmgenre, das zur Schockerzeugung traditionell mit der Tonspur arbeitet, ist gerade letztere Idee kaum zu unterschätzen: Da jeder Laut Lebensgefahr bedeutet, dient jedes noch so zarte Geräusch uneingeschränkt dem Thrill.
Zwei mal zitiert der Film sogar offen Hitchcocks Klassiker: Ganz am Anfang sehen wir jenes klassisch gewordene Filmbild, das eine Menge Vögel eng gedrängt auf einer Stromleitung zeigt, ein Bild, das später, als das Geschehen im Film fortgeschritten ist und unsere geräuschempfindlichen Urzeitviecher bereits die Kontrolle über weite Landstriche übernommen haben, wieder aufgegriffen wird: Jetzt sitzen da - die Kamera fährt zurück und gibt den Blick auf den grauen, wolkigen Himmel und die weite Landschaft frei - friedlich nebeneinander Unmengen der krächzenden Fluggnome auf den Stromtrassen.
Ganz nett ist das. Warum allerdings zwischendurch überflüssigerweise ein öder Teenagerliebe-Kurzplot in die Filmhandlung eingebaut wurde, erschließt sich dem denkenden Zuschauer ebenso wenig wie der Umstand, dass die kleinen Flugmonster manch lautes Geräusch hören und manches nicht (passt vermutlich nicht ins Drehbuch).
Bedauerlich ist, dass viele der jüngeren Hollywood-Horrorproduktionen, und da macht diese hier keine Ausnahme, sich nicht nur konventionellster Genremittel und Erzähltechniken bedienen, sondern auch dem handelsüblichen reaktionären Schluss zustreben, der in aller Regel jede noch so kleine Hoffnung des Zuschauers auf Originalität, auf Ambivalenz oder darauf, dass ein einziges mal wenigstens das Märchen und der Kitsch nicht triumphieren, zunichte macht: Die tapfere Familie, die gute, alte Keimzelle der Nation, rottet sich mit anderen ihrer Art zusammen und gründet im - ebenso geräuscharm wie archaisch, mit Pfeil und Bogen geführten - Krieg gegen die Spezies der ekligen Flugparasiten eine neue Gemeinschaft, um die - sieht man von den allgegenwärtigen vereinzelten Krächzlauten ab - in Stille versunkene Welt wieder zu übernehmen. Vermutlich ja, so steht zu befürchten, um sie wieder so lärmig zu machen wie zuvor.
»The Silence«, USA 2019. Regie: John R. Leonetti. Darsteller: Kiernan Shipka, Stanley Tucci, Miranda Otto. 91 Min.
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