- Brandenburg
- Kommunalwahl in Potsdam
Die rote Volkspartei
In Potsdam ist die LINKE stärkste Kraft, obwohl sie sogar Konkurrenz von links hat
Sascha Krämer hängt vor dem Potsdamer Landtag herum - gemeinsam mit Anja Mayer auf einem Wahlplakat. In Wahrheit sitzt er jedoch im südafrikanischen Johannesburg, als mitreisender Ehemann seiner beruflich bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung eingespannten Gattin. Zeit zum Abhängen hat Krämer dort jedoch keineswegs, nicht einmal, wenn sein kleiner Sohn im Kindergarten ist. Denn Sascha Krämer macht von Johannesburg aus via Twitter, Facebook & Co. Wahlkampf. Er kandidiert für die LINKE, deren Kreisvorsitzender er etliche Jahre gewesen ist, bei der Kommunalwahl am 26. Mai für die Stadtverordnetenversammlung von Potsdam.
Krämer hat bereits im Stadtparlament gesessen, sein Mandat aber niedergelegt, als er sich für anderthalb Jahre mit Frau und Kind nach Südafrika verabschiedete. Nun kehrt er bald wieder. Seinen Hauptwohnsitz hat er in Potsdam behalten. Der Flug ist schon gebucht. Am 23. Mai landet Krämer in Berlin-Tegel und stürzt sich dann noch für zwei Tage leibhaftig in den Kommunalwahlkampf.
Über das Geschehen in Potsdam hat er sich durch das Lesen von Zeitungen auf dem Laufenden gehalten. Mal den Blick von außen zu bekommen, fand er gut. »Johannesburg ist eine reine Autofahrerstadt. Ich habe hier gesehen, dass es nicht die Zukunft sein kann«, schreibt er in einer E-Mail. »Daher brauchen wir in Potsdam einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr mit sozial gerechten Angeboten und gute Rad- und Fußwege.«
Via Facebook postet Krämer gegenwärtig fleißig seine Forderungen und Wahlversprechen. So will er sich zum Beispiel für barrierefreie Straßenbahnhaltestellen an der Friedrich-Ebert-Straße einsetzen. Auf dem dazugestellten Foto sitzt Krämer dort auf der Bordsteinkante. Die Aufnahmen wurden für diesen Zweck vorsorglich gemacht, als Krämer im Februar in Potsdam weilte und sich nominieren ließ. Es gibt Bilder mit ihm von den Orten, an denen er Handlungsbedarf sieht, so am Klinikum »Ernst von Bergmann«.
Für die Stadtverordnetenversammlung haben acht Parteien und zwei Wählergruppen zusammen 543 Kandidaten aufgestellt. Außerdem gibt es noch einen Einzelbewerber. Eine Besonderheit in Potsdam ist die linksalternative Gruppierung »Die Andere«, vertreten im Parlament seit 1993. Anderswo in Brandenburg gibt es nichts Vergleichbares, weil dort das passende Milieu fehlt. »Wir verkaufen nichts«, verspricht »Die Andere« mit Blick auf Privatisierungen, und fügt hinzu, sie lasse sich auch nicht kaufen. 84 Männer und Frauen treten für diese Wählergruppe an. Es sind exakt genauso viele wie für die SPD und die Grünen und zwölf mehr als für die LINKE. Noch mehr Bewerber hat niemand nominiert. Aber »Die Andere« braucht auch viel Personal. Schließlich gilt bei ihr das Rotationsprinzip. Mandate werden regelmäßig an Nachrücker abgetreten.
Bekannte »Andere« sind Axel Kruschat, Landesgeschäftsführer der Umweltorganisation BUND, und Lutz Boede - eine Kultfigur der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Bei der Oberbürgermeisterwahl im Oktober 2018 erzielte Boede respektable 11,4 Prozent. Er räumte gut ab in Hochburgen der Sozialisten in den Plattenbaugebieten.
Als inoffizieller Bürgermeister dieser Gebiete gilt Hans-Jürgen Scharfenberg (LINKE). Offizieller Oberbürgermeister von ganz Potsdam ist er in zwei Anläufen nicht geworden. Einmal fehlten ihm nur ein paar Stimmen. Scharfenberg ist ein Urgestein in der Kommunalpolitik, hat auch in der Opposition viel erreicht und bewirkt, zuletzt mit seinen Genossen das alte Terrassenrestaurant »Minsk« gerettet. »Hätte es die LINKE nicht gegeben, wäre das ›Minsk‹ längst abgerissen«, sagt Scharfenberg.
Die Kommunalwahl 2014 hatte die LINKE in Potsdam mit 25,3 Prozent der Stimmen gewonnen. Die SPD erzielte damals 23,4 Prozent. »Die LINKE ist stärkste Fraktion und deckt inhaltlich den gesamten Querschnitt der Probleme in der Stadt ab«, betont Linksfraktionschef Scharfenberg. Daraus erwachse die Verantwortung, »nicht nur für die eigene Klientel, sondern auch darüber hinaus Politik zu machen«. Die LINKE könne sich nicht auf die »Zuspitzung linker Positionen« beschränken, wie die linksalternative Fraktion »Die Andere« dies tue. Das schließe ein, eine »konstruktive, berechenbare Opposition« zu sein, natürlich auch, Kompromisse zu schließen, um Ziele zu erreichen. Die LINKE habe sich in Potsdam als Volkspartei profiliert, meint Scharfenberg. Das war keineswegs leicht zu erreichen, zumal viele Einwohner nach der Wende aus Westberlin und Westdeutschland zugezogen sind.
Der Sozialdemokrat Mike Schubert konnte kürzlich das Amt des Oberbürgermeisters von seinem Genossen Jann Jakobs übernehmen. Das scheint sich aber noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Bei einem SPD-Landesparteitag im Kongresshotel Potsdam am vergangenen Wochenende war ein Platz für den Oberbürgermeister freigehalten worden. Als Schubert sein Grußwort an die Delegierten richtete, hielt er belustigt den Zettel hoch, den er auf seinem Platz als Reservierung für den Oberbürgermeister gefunden hatte. »Jann Jakobs«, stand darauf.
Derweil beschwert sich der »südafrikanische« Kandidat Sascha Krämer über ein SPD-Plakat zur Kommunalwahl. Es zeigt drei Menschen, ganz links Mike Schubert. Dazu steht: »Am 26. Mai SPD wählen. Für Mike Schubert.« Krämer kommentiert das so: »Die SPD möchte für Mike Schubert gewählt werden und nicht für ihre Ideen für die Stadt.« Mit dem Sinn und Zweck eines Stadtparlaments habe dies nichts zu tun. Denn das Parlament sollte die Rathausspitze kontrollieren.
Der CDU-Kandidat Clemens Viehrig teilt diese Kritik. Er sagt: »Politik für den Oberbürgermeister machen zu wollen, sollte in keinem Wahlprogramm stehen.«
Seine eigene Stellungnahme und die von Viehrig verschickte der 42-jährige Krämer per WhatsApp aus Südafrika. Anders als er und anders man bei einer jungen Frau vermuten dürfte, setzt die gerade erst 18 Jahre alt gewordene Kandidatin Lieselotte Naundorf (Grüne) im Potsdamer Wahlkampf nicht auf das Internet. Sie geht raus auf die Straße. »Das persönliche Gespräch ist das Wichtigste«, wird sie von der Nachrichtenagentur dpa zitiert. Sollte Naundorf nicht genug Stimmen erhalten und nicht ins Stadtparlament einziehen, dann will sie im August Potsdam verlassen und ein Jahr lang Freiwilligenarbeit bei einem Umweltprojekt in Ecuador leisten.
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