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Der Schlüssel liegt in Deutschland
Fabio De Masi sieht keinen Grund zu blinder Europagläubigkeit, aber gute Gründe, die EU rigoros zu verändern
Sie waren EU-Parlamentarier, sind jetzt Mitglied des Bundestages - wo haben Sie mehr bewegen können, in Brüssel oder in Berlin?
Habe ich etwas bewegt? Wahrscheinlich nicht. Ich habe Öffentlichkeit für Themen geschaffen. Etwa als ich kurz vor der Veröffentlichung der Panama Papers bei Mossack Fonseca anrief und mich als Geschäftsmann ausgab, der schmutziges Geld waschen will. Aber wir haben nicht die Steueroasen ausgetrocknet. Wir haben auch nicht die Kürzungspolitik in der Europäischen Union beendet, die Europa zerstört.
Auch im Bundestag misst die Opposition ihren Erfolg daran, ob sie öffentlich sichtbar wird mit ihren Themen. Oder gibt es hier andere Erfolgserlebnisse?
Im Bundestag musst du dich mit einer Regierung prügeln, in Brüssel gleich mit 28. In Straßburg hältst du eine Rede von einer Minute und wenn du einen Witz machst, lachen die Anderen erst nach zwei Minuten, weil ihn der Dolmetscher übersetzen musste. Daher habe ich immer gerne Englisch gesprochen, aber dann verstehen dich die Leute zu Hause nicht. Im EU-Parlament musst du noch fleißiger und kreativer sein, um Öffentlichkeit zu schaffen. Aber du kannst zum Beispiel keine Mindeststeuern für Konzerne beschließen. Das darfst du gar nicht laut EU Verträgen. Du kannst nur sagen: Amazon zahlt null Prozent, Google ein Prozent Steuern. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung. Wenn beide null Prozent Steuern zahlen, ist aber alles in Butter.
In Deutschland ist es einfacher? Da regiert die Große Koalition seit Jahren durch.
Die GroKo kannst Du abwählen, die EU Verträge nicht. Das Grundgesetz ist nicht wirtschaftsliberal wie die EU Verträge. Wir können im Bundestag über die Enteignung von Deutsche Wohnen streiten, weil die 18 Prozent Rendite mit der Miete macht. Wenn aber Jeremy Corbyn die Eisenbahn verstaatlichen will oder wir bei Deutsche Wohnen ernst machen, gibt es womöglich Stress mit der EU.
Wie stresst dann die EU?
Es war der Europäischen Gerichtshof, der bestimmte: Osteuropäische Bauarbeiter werden in Deutschland nicht nach Tarif bezahlt, weil das die Freiheit der Unternehmen einschränkt. Der EU-Binnenmarkt funktioniert wie das verhinderte Konzernschutzabkommen TTIP - nur ohne USA. Man kann im EU-Parlament auch Dinge erreichen. Aber das Parlament hat kein Initiativrecht - außer bei den EU-Verträgen selbst. Du musst nehmen, was von der EU Kommission kommt und dann Änderungen durchsetzen.
Ein Beispiel?
Ich habe Abgeordneten im EU-Parlament mal erklärt, dass sie keine öffentlich-privaten Partnerschaften brauchen, die teurer sind für Steuerzahler, weil Deutsche Bank und Allianz auch Rendite mit Autobahnen und Schulen machen wollen. Trotz Schuldenbremse ließen sich mehr öffentliche Investitionen finanzieren, wenn man das Kapital der Europäischen Investitionsbank erhöht oder die Europäische Zentralbank die Anleihen der EIB kauft. So könnte man direkt öffentliche Investitionen jenseits der dummen Schuldenregeln finanzieren. Da wurden ein paar Sozialdemokraten ganz aufgeregt und beschwerten sich, dass ihnen das keiner vorher gesagt habe. Damals intervenierte dann ein SPD-Mann und sagte: »Er hat ja recht, aber wir müssen uns eben mit dem beschäftigen, was Juncker auf den Tisch legt!«
Manchmal klingen alle politischen Lager ganz ähnlich. Etwa, wenn es um die Steuervermeidung großer Konzerne geht.
Na ja, vor wenigen Tagen lehnte die GroKo im Bundestag unseren Antrag ab, dass Konzerne für jedes Land in der EU ihre Gewinne und bezahlten Steuern veröffentlichen. Der EU-Kommissionspräsident und Pate der Steueroase Luxemburg, Jean-Claude Juncker, ist übrigens dafür. Aber SPD-Finanzminister Olaf Scholz behindert es. Im Europawahlkampf verspricht er dann aber Mindeststeuern und zwar gleich weltweit. Irgendwann erzählen die uns, wir müssten uns erst mit den Marsmenschen einigen, bevor wir etwas beschließen können.
Gibt es nun eine Chance für Mindeststeuern?
Wenn ich es nicht schaffe, mich mit 28 Staaten zu einigen, könnte ich auch eine Strafsteuer auf Finanzflüsse in Steueroasen anstreben. Denn Apple Deutschland verschiebt ja seine Gewinne durch künstliche Lizenzgebühren nach Irland. Darauf könnte ich die Steuer erheben. Allerdings könnte der Europäische Gerichtshof hier einen Strich durch die Rechnung machen. Daher muss ich mich im Zweifel dem EU-Recht auch widersetzen, wenn der EuGH seine Kompetenzen überdehnt.
Also schwierig. Um so ambitionierter erscheint der Plan der LINKEN. Sie will eine Initiative starten für bezahlbaren Wohnraum in der EU. Und ein Alarmsystem gegen prekäre Arbeit. Das EU-Parlament hat gar kein Initiativrecht, kann keine Gesetze unterbreiten. Wie soll das gehen?
Das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« kann in der Entsenderichtlinie gestärkt werden. Es ist fantastisch, wenn junge Italiener sich in Berlin verlieben. Aber wer spricht über die rumänischen Wanderarbeiter, die in einer Schimmelbude wohnen und auf den Arbeiterstrich in Hamburg-Wilhelmsburg gehen? Oder beim Mindestlohn: Ein einheitlicher Mindestlohn wäre für Schweden zu niedrig und für Bulgarien zu hoch. Aber eine Mindestlohnrichtlinie könnte regeln, dass Mindestlöhne etwa 60 Prozent der mittleren Löhne in den Mitgliedstaaten entsprechen müssen. Nur würde ich der EU-Kommission eben keine Kompetenz für Soziales und Beschäftigung geben. Sonst ist morgen das Streikrecht weg. Mieten und Pflege lassen sich nach meiner Überzeugung nicht auf europäischer Ebene regeln. Die Dienstleistungsrichtlinie ist ja eine Gefahr für kommunale Wohnungsunternehmen oder Krankenhäuser.
Manchmal ist weniger Europa also mehr?
Ja. Würde sich die EU um Steuergerechtigkeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit oder Abrüstung kümmern, statt Kommunen zu zwingen, öffentliche Dienste an den billigsten Anbieter in der EU zu verticken, hätte sie große Zustimmung. Mehr Europa bedeutet manchmal auch mehr Waffenexporte an Diktaturen. Die Bundesregierung sagt, »Europe United« bedeute, wir könnten bei gemeinsamen Rüstungsprojekten mit Frankreich keine Verbote von Waffenexporten nach Saudi-Arabien durchsetzen. Und bei einer EU-Armee würde der Bundestag nicht mehr vorab über Militäreinsätze abstimmen.
Doch wäre es nicht prima - die EU kurbelt sozialen Wohnungsbau an?
Der Bund kann bereits heute sozialen Wohnungsbau fördern. Die EU-Kommission plant mit der Notifizierungsrichtlinie gerade, Gesetze selbst zu kassieren, die nach ihrer Auffassung gegen EU-Recht verstoßen. Sogar ohne Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Darunter könnten auch Regeln zur Flächennutzung fallen, die Investoren Vorschriften zum sozialen Wohnungsbau machen. Und AirBnB ließe sich auch mit Quellen- oder Strafsteuern beikommen. Die Wohnraumplattform könnte gezwungen werden, nur noch Inserate mit Steuernummer zu führen. Dazu braucht es Brüssel nicht.
Sollte man über ein Gremium nachdenken, das die Arbeit der Abgeordneten im Bundestag und im EU-Parlament koordiniert, damit die sich nicht gegenseitig ins Handwerk pfuschen?
Der Bundestag hat ein Verbindungsbüro in Brüssel. Wir pfuschen uns aber nicht ins Handwerk, sondern lassen uns zu sehr in Ruhe. Das ist meine Erfahrung. Ich habe ein Netzwerk von europäischen Abgeordneten initiiert, die sich bei Steuern koordinieren. Bei Luxemburg Leaks kooperierte ich mit Luxemburger Linken, bei den Cum Ex Files mit den Dänen, und ich tausche mich auch mit Schweizer Sozialdemokraten und Labour in Großbritannien aus.
Schweißt die EU-Wahl nicht derzeit alle Gegner der Rechten zusammen, parteiübergreifend? Der 26. Mai gilt als Schicksalswahl.
Natürlich sorgt mich der Aufstieg der Rechten. Aber Gauland, Le Pen und Salvini sind ja nicht vom Himmel gefallen. Wenn es keine Parteien mehr gibt, sondern nur noch Europäer, muss die Linke unterscheidbar sein.
Trägt die Linke Mitschuld, dass die Rechten auf dem Vormarsch sind?
Die Rechte ist meistens stark, wo die Linke zu schwach ist. Wer darüber nicht nachdenken möchte, hilft den Rechten.
In linken Debatten scheint der entscheidende Widerspruch unserer Zeit zwischen Nationalem und Internationalem zu bestehen, was dann gleichgesetzt wird mit dem zwischen Nationalismus und Internationalismus. Sie finden das nicht?
Rosa Luxemburg würde sich im Grab herumdrehen. Wenn man die EU-Fahne auf einen Panzer steckt, ist das immer noch ein Panzer. Internationalismus sind die vielen Kämpfe von Menschen, die keine Fabriken besitzen. Internationalismus ist nicht, wenn italienische Lobbyisten in Brüssel irischen Whiskey saufen. Ist die NATO etwa internationalistisch?
Und als Solidarität gilt die gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen gegen Flüchtlinge.
Das ist ebenso wenig richtig. Solidarität ist die Bekämpfung von Fluchtursachen und die Besteuerung der Reichen, um das Leben hier und anderswo zu verbessern. Die Finanztransaktionssteuer hat Finanzminister Scholz mit dem Hinweis beerdigt, sie sei nationalistisch. Man müsse sich mit Frankreich einigen und daher werden jetzt 98 Prozent aller Finanztransaktionen ausgenommen und nur eine Aktiensteuer gemacht. Da kommt man hin, wenn die Sprache verlottert.
Proeuropäer zu sein, damit schmücken sich auch LINKE gern.
Der Rüstungslobbyist Wolfgang Ischinger trug auf der Münchner Sicherheitskonferenz einen Kapuzenpullover mit der EU-Flagge. Das sind Labels, die interessieren mich nicht. Ich bin als Deutsch-Italiener ein Kind Europas. Aber ich weiß, was die Kürzungspolitik in Italien anrichtet und dass das Land in der Flüchtlingskrise alleine gelassen wird. Das ist ein Geschenk für Salvini und Co. Ich will ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa. Wer es gut meint mit Europa, muss die EU kritisieren.
Wozu braucht es dann die EU?
Den Klimawandel interessieren Grenzen nicht. Und wir brauchen auch internationale Regeln bei Steuern oder Abrüstung. Oder: Warum sollte die EZB nicht einen Green New Deal finanzieren und Bahngleise von Lissabon bis Helsinki finanzieren? Das würde Jobs schaffen und Hoffnung für Kohlekumpels stiften, statt billiges Geld in die Finanzmärkte zu pumpen und Immobilienblasen zu finanzieren.
Wie wollen Sie die EU bewegen, sich so rigoros zu ändern?
In Deutschland liegt der Schlüssel, die EU zu verändern. Wenn wir hier in Deutschland Löhne, Renten und öffentliche Investitionen erhöhen und unseren Exportüberschuss abbauen würden, hätten wir mehr für Griechenland getan als mit jeder Rede auf einem Parteitag.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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