Alles dampft

Ein erotischer, gewaltvoller Traum, durch und durch queer: der virtuos perverse Coming-of-Age-Film »The Wild Boys«

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

*Achtung, enthält Passagen zu sexualisierter Gewalt*

Einen so virtuos perversen Film habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Und ich schaue im Monat doch so einiges weg an Zeug, das davon lebt, wie verkehrt es ist. Aber nur wenige Filme balancieren so traumtänzerisch auf der schmalen Kante entlang, die dummen Transgressionskitsch vom Bezaubernden trennt. Bertrand Mandicos Langfilmdebüt »The Wild Boys« verheimlicht nicht, dass es in einer langen Tradition der unterschlagenen und bewusst abseitigen Filmkunst stehen will. Die Arbeiten Guy Maddins drängen sich auf als Referenz, dann Jack Smiths »Flaming Creatures«, Kenneth Anger - man hat nach dem Sehen große Lust, sich die Klassiker des sexuell aufgeladenen Underground-Kinos wieder anzuschauen.

Trotzdem fühlt sich »The Wild Boys« neu und irgendwie singulär an. Am Plot liegt es nicht, der ließe sich zumindest in seinen Grundzügen als einfach strukturierte Geschichte von Transgression, Disziplinierung und Coming-of-Age nacherzählen. Fünf Jungen vergewaltigen ihre Lehrerin. Die Gerichtsverhandlung geht glimpflich für sie aus, alle lügen skrupellos. Trotzdem werden sie von ihren Eltern in die Hände eines Kapitäns gegeben, zur Charakterschulung, eine Art boot camp auf See. Nahezu jedes Bild ist hier erotisiert. Es gibt schamhaarige Früchte zu essen, der Kapitän zeigt gerne seinen tätowierten Penis und führt die Jungen an der Leine. Das Ziel: eine Insel, auf der die Pflanzen spritzen und schleimen. Die Reise verwandelt die Jungen.

Filme, die wirken, als seien sie von den Möglichkeiten des eigenen Mediums berauscht, leben nicht vom Erzählten, sondern von der Atmosphäre, die sie abstrahlen. »The Wild Boys« ist tatsächlich auf einer Insel gedreht worden, einer wirklichen, La Réunion im indischen Ozean. Das Klima dort, schreibt Wikipedia, ist tropisch-sommerfeucht. Trotz der materiellen Wirklichkeit, die er filmt, ist es Mandico gelungen, den artifiziellen Eindruck der exotischen Settings früher Universal-Horrorfilme zu reproduzieren. Sein Film ist die meiste Zeit schwarzweiß, bis auf überwiegend in Lilatönen gehaltene Farbsequenzen, die an psychedelische Pornos der Siebziger gemahnen. Alles an diesen Bildern ist künstlich, und auf dieser und auf allen anderen Ebenen verbreitet »The Wild Boys« einen eigentümlichen Eindruck von Freiheit: Alles wirkt wie gemacht auf dieser Insel. Und alles dampft und ist nass. Die Pflanzen verspritzen Sekret. Die Figuren können in dieser Filmwelt Sex mit der Natur haben, ganz buchstäblich.

Die Bilder der Körper sind mit allen Mitteln (außer den ungebrochen pornografischen) sexualisiert. Trotzdem muten diese Bilder nie schwiemelig oder verschwitzt an. Ungebrochen schön oder gar idealisiert ist das alles allerdings auch nicht. Schrecken und Unbehagen schwingen immer mit. Sex in »The Wild Boys« ist verbunden mit, wiederum lustvoller, Gewalt. Das Allheilmittel für alle Menschheitsübel wiederum, das der mad scientist (die nächste Reminiszenz an den klassischen Horrorfilm) der Insel vorschlägt - verkürzt gesagt: Schwanz ab -, trägt nicht weit.

Mit seiner Inszenierung von Körpern und Wandelbarkeit gelingt dem Film »The Wild Boys« eine Gratwanderung. Ein erotischer, gewaltvoller Traum, durch und durch queer und pervers im Sinn einer Verkehrung, die in dem wirklich einmal überraschenden Twist gegen Ende eindrucksvolle Bilder findet.

»The Wild Boys«, Frankreich 2017. Regie/Buch: Bertrand Mandico; Darsteller: Pauline Lorillard, Vimala Pons, Diane Rouxel, Anael Snoek, Mathilde Warnier. 110 Min.

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