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Müll mich nicht voll
Mit neuen Strategien soll Berlin zur Zero-Waste-Hauptstadt werden
»Wir müssen junge Menschen so weit bringen, dass sie mit 18 oder 20 Jahren gar nicht mehr daran denken, die Restmülltonne aufzumachen«, sagt Sebastian Stragies. Er ist engagiert bei »Kunst-Stoffe« in Berlin und ist dort für die Bildungsarbeit zuständig. Der Verein unterhält in den Bezirken Neukölln und Pankow mehrere Sammelstellen für Rest- und Gebrauchtmaterialien, die an gemeinnützige Einrichtungen preisgünstig abgegeben werden. Außerdem betreibt der Verein zwei Repaircafés und einen Lastenradverleih. Stragies lamentiert nicht gerne. Er setzt lieber um, was er als »kreative Auseinandersetzung mit Wieder- und Weiterverwendungsstrategien« bezeichnet.
Über 200 Initiativen, die sich mit dem Thema »Zero Waste« beschäftigen, gibt es laut einer Broschüre des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Berlin. Tauschen, verschenken, reparieren, leihen - »so kann Zero Waste gelingen und unsere Vision Wirklichkeit werden«, heißt es dort hoffnungsvoll.
Doch die Wirklichkeit sieht in vielen Bereichen anders aus. Rund 500 000 Plastik- und Pappbecher werden täglich in Berlin für Café-To-Go genutzt und dann weggeworfen. Sie landen auf Grünflächen, Bürgersteigen, Spielplätzen und - wenn es gut läuft - in (meist überquellenden) Mülleimern. Auch die Trennmentalität ist in der Hauptstadt nicht besonders ausgeprägt. Vieles, das noch verwertet werden könnte, landet im Restmüll. Darum kann die Hälfte des Berliner Müllaufkommens nicht mehr wiederverwertet, sondern nur noch verbrannt werden. Und es wird immer schlimmer: Immer mehr Produkte im Handel sind immer aufwendiger verpackt. Nachdem das Müllaufkommen jahrelang zurückging, steigt es in den letzten zwei Jahren wieder an. So vergrößerte sich die Gesamtmenge Abfall pro Einwohner von 384 Kilogramm im Jahr 2015 auf 387 Kilogramm in 2017. Vor allem in der grauen Restmülltonne landen in Berlin im Vergleich zum Bundesdurchschnitt zu viele Wertstoffe.
Der Senat will Berlin zur Zero-Waste-Stadt machen. Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) hat im März ein neues Abfallwirtschaftskonzept vorgelegt, in dem sie die Restmüllmenge um zehn bis 20 Prozent reduzieren will. Ein Mittel, dies zu erreichen, war die stadtweite Einführung der Biotonne im April. Denn laut Abfallbilanz sind 40 Prozent des Restmülls organischen Ursprungs. Dieser soll nun in der Biotonne landen, damit er in den Biogasanlagen der BSR zu Biogas vergoren werden kann.
Georg Kössler, der für die Grünen im Abgeordnetenhauses sitzt und dort für die Themen Klima- und Umweltschutz zuständig ist, forderte kürzlich nicht nur Angebote zur Müllvermeidung, sondern auch Verbote. »An freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft glaube ich nicht«, sagte er am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Neukölln. So müsse beispielsweise der Lebensmitteleinzelhandel dazu verpflichtet werden, Mehrwegkonzepte zu entwickeln. Außerdem müsse man »Lebensmittelverschwendung verbieten«, fordert Kössler. So wie es etwa in Frankreich der Fall sei.
Mit solch einer Forderung stößt Kössler durchaus auf Unterstützung bei Berlinerinnen und Berlinern. Laut einer Umfrage der »Berliner Zeitung« aus dem letzten Jahr sind 81 Prozent der Berliner*innen dafür, Plastikverpackungen, Plastiktüten und Plastikbecher ganz zu verbieten.
Für Initiativen und Start-ups, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, ist es hingegen nicht immer einfach. Die Lebensmittelretter von »SirPlus« suchen momentan Gewerbeflächen, in denen sie Lebensmittel anbieten können, die ansonsten nicht mehr in den Verkauf gelangen würden. Vier Läden gibt es derzeit in Berlin. Im SirPlus Laden in der neu errichteten East-Side-Mall am S-Bahnhof Warschauer Straße in Friedrichshain liegen in der Auslage Avokados, Ananas, Äpfel und mehrere Sorten Gemüse, Bio-Nudeln von Demeter, verschiedene Biersorten und Fruchtriegel. Aber auch recht spezielle Produkte wie Frucht-Papier Rote Beete, Limetten Chips oder Mate-Bier.
Hauptsächlich seien es Produkte, die beispielsweise vom Hersteller umgelabelt wurden und daher nicht mehr verkäuflich sind oder die auslaufen und nur noch in so kleiner Menge vorliegen, dass sich der Vertrieb für Großhändler nicht mehr lohnt, erklärt Filalleiter Anton Hartwig. Abgesehen natürlich von Lebensmitteln, die sich bereits nahe am Mindesthaltbarkeitsdatum befänden.
Für SirPlus-Gründer Raphael Fellmer ist es wichtig, mit den Läden in die »Mitte der Gesellschaft« vorzustoßen. Er geht davon aus, dass bundesweit jährlich »mehrere Millionen Tonnen rettbare Lebensmittel« weggeworfen werden. In 18 Monaten hat SirPlus bereits 1600 Tonnen gerettet. Für Fellmer nicht genug: »Wir wollen jetzt bundesweit Läden eröffnen und starten diese Woche eine Crowdfunding-Kampagne«, so der Firmengründer. »Mir ist es wichtig, etwas zu bewegen - und zwar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit einem Lächeln.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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