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Gottlos glücklich
Zehn Jahre nach der ersten Tour rollt die säkulare Buskampagne wieder quer durch Deutschland. Das Ziel: Kirche und Staat sollen getrennte Wege gehen. Ein Tourstopp mit Helen Roth
Knallrot blitzt der Cabrio-Doppeldeckerbus auf dem Rathenauplatz in Frankfurt am Main zwischen den mächtigen Hochhäusern der Banken heraus. Auf seinen Flanken steht in Großdruckbuchstaben: «Kirchenstaat? Nein Danke. 100 Jahre Verfassungsbruch sind genug». Es ist sonnig und warm, der Platz ist voll mit Menschen, viele von ihnen haben prall gefüllte Einkaufstaschen dabei. In direkter Nachbarschaft zu den Infoständen der säkularen Buskampagne veranstalten Teenager ein Urban-Dance-Battle. Der Blick der Goethe-Statur ruht auf dem roten Bus. Der Dichterfürst war selbst ein Freund der Säkularisierung - das weiß aber kaum jemand.
Die Stadt am Main ist die fünfzehnte Station der AktivistInnen. Die Gruppe erinnert ein bisschen an eine Rockband - ein bunt gemixter Haufen, der mit seinem Tourbus unterwegs ist. Der harte Kern besteht aus sieben Personen. Bis auf die Busfahrerin Sabrina Vierke, die für die Kampagne zusammen mit dem Bus gebucht wurde, sind alle Mitglieder der Giordano-Bruno-Stiftung und engagieren sich ehrenamtlich. In den verschiedenen Städten rückt dann noch Verstärkung aus den Regional- und Hochschulgruppen der Stiftung an. 13 Städte liegen noch vor ihnen. Am 30. Mai geht es dann wieder zurück nach Berlin. Dort haben sich die Tourmitglieder am 4. Mai auf ihre Mission gemacht.
Es verwundert daher kaum, dass Michael Schmidt-Salomon, der Kopf der säkularen Buskampagne und Vorsitzender der Giordano-Bruno-Stiftung, etwas abgekämpft wirkt. Der Zeitpunkt der zweiten Buskampagne war gut überlegt, sagt er. Nicht nur, weil es genau zehn Jahre her ist, dass die erste und bisher letzte säkulare Buskampagne durch Deutschland tourte. Sondern insbesondere wegen den beiden großen Jubiläen dieses Jahres: 70 Jahre Grundgesetz und 100 Jahre Weimarer Verfassung. «Das bedeutet eben auch 70 beziehungsweise 100 Jahre Verfassungsbruch. Denn schon 1919 hat die Weimarer Fassung die Trennung von Staat und Kirche verfügt. Doch bis heute haben die Politiker nicht den Mut, das Gebot der weltanschaulich neutralen Verfassung wirklich zu etablieren», sagt Schmidt-Salomon. Die zweite Kampagne ist deutlich politisch motiviert, während die erste noch allgemein auf Atheismus aufmerksam machen wollte.
Ob es viele Anfeindungen gebe? «Ach, kaum», winkt der Mann in schwarzer Hose und schwarzem Hemd lässig ab. «Vor zehn Jahren, als wir unter dem Motto »Gottlos glücklich« getourt sind, waren die Widerstände innerhalb der Bevölkerung noch viel größer. Mittlerweile haben viele verstanden, dass wir ihnen nichts wegnehmen wollen, sondern uns für einen weltanschaulich neutralen Staat einsetzen.»
Diskriminierung religionsfreier Menschen beenden
Ganz so klar ist das dann aber doch nicht. Mit finsteren Mienen nähert sich ein Rentnerpaar dem Infostand. «Was glaubt ihr, wo wir hinkämen, wenn es nicht mehr die Moral unserer Kirchen gäbe?», bricht es aus der Frau hervor. «Ihr wollt alle Religion verbieten.» Ihr Mann nickt zustimmend. «Nein, darum geht es uns nicht. In Deutschland herrscht Religionsfreiheit, das ist auch gut so», antwortet Schmidt-Salomon. «Aber inzwischen leben mehr konfessionsfreie Menschen hier als Katholiken oder Protestanten. Deshalb sollten wir die ›Kirchenrepublik Deutschland‹ hinter uns lassen und die Diskriminierung religionsfreier Menschen beenden.» Zu den angesprochenen Diskriminierungen gehört, so erläutert er, etwa die Bevormundung von schwangeren Frauen. Ginge es nach den MitstreiterInnen der säkularen Buskampagne, gehörten die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch, die Paragrafen 219 und 219a des Strafgesetzbuches, längst gestrichen. Von solchen fortschrittlichen Thesen will das Rentnerpaar aber nichts wissen. Kopfschüttelnd, räumen die beiden das Feld. Ob es immer so friedlich zugehe? «Meistens ja, unsere Argumente sind klar. Da fällt es vielen schwer, etwas dagegen zu sagen», sagt Florian Chefai, Teilnehmer der Bustour und Vorsitzender der Evolutionären Humanisten aus Trier, die der Giordano-Bruno-Stiftung nahestehen. Evolutionäerer Humanismus ist eine neuere, naturalistisch geprägte Strömung innerhalb der humanistischen Weltanschauung. Der Mensch gilt dabei nicht als «Krone der Schöpfung», sondern als «unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution», wie es die Giordano-Bruno-Stiftung auf ihrer Internetseite formuliert.
Sabrina Vierke hat eine andere Wahrnehmung als Chefai. Die Fahrerin des Doppeldecker-Omnibusses hat es sich im Inneren des Wagens mit ihrer Hündin Kimba bequem gemacht. Im erzkatholischen Trier sei es besonders ungemütlich gewesen. «Ich hatte gerade den Bus abgestellt, schon hämmerte so ein aufgebrachter Typ an die Scheibe und fing an zu brüllen: ›Das gibt’s doch gar nicht, ich zeig euch an!‹ Ich hab dann schnell die Schotten dicht gemacht. So einer will ja nicht reden, der ist nur auf Krawall aus.» Daneben käme es nicht selten vor, dass ihr während der Fahrt der ausgestreckte Mittelfinger gezeigt werde. «Naja», fügt sie grinsend hinzu, «vielleicht liegt es auch an meinem Schneckentempo auf der Autobahn». Das 30 Jahre alte, tonnenschwere Ungetüm schafft gerade einmal 75 Stundenkilometer und macht einen ziemlichen Lärm.
Plötzlich kippt die Stimmung. Aufgebracht stürzt Gisa Bodenstein in den Bus, die den Transporter mit der Technik der Kampagne fährt. «Wir wurden beklaut!» Die traurige Bilanz: Zwei Laptops, zwei externe Speicherkarten und eine Kamera sind weg. Der Verlust tut weh. Der einzige Trost: Die meisten aktuellen Infos zur Tour werden immer direkt in den sozialen Medien geteilt.
«Die Kirchen gieren nach Geld, um ihre Macht zu erhalten»
Lang kann der Verlust nicht betrauert werden. Eine ausgelassene Kindergruppe schart sich um die dralle Goldhamster-Statue, die zur Kampagne gehört. Im lila Talar, das typische Kleidungsstück für Pfarrer, thront das fett gefressene Nagetier auf einem riesigen Berg von Geldscheinen. An der Seite sieht man ein abgezehrtes Mäuschen am Kreuz hängen. Die Lesart: Jesus ist sprichwörtlich zur armen Kirchenmaus verkommen. Die Kritik ist klar, sagt der Schöpfer der Figur, Bernd Kammermeier, der ebenfalls auf der Tour mitfährt. «Die Kirchen üben sich schon lange nicht mehr in Demut, falls sie es je getan haben. Stattdessen gieren sie nach Geld, um ihre Macht zu erhalten. Unser Staat zahlt den Kirchen jedes Jahr über 500 Millionen Euro aus allgemeinen Steuergeldern.» Geht es nach dem Karikaturisten, wäre damit sofort Schluss. Die Kirchen stopften sich zu Unrecht die Taschen voll. Das sähen auch viele Christen so, mit denen er während der Bustour ins Gespräch komme.
Die Kinder kümmert das natürlich noch herzlich wenig. Ungestüm drängen sie auf die Aussichtsfläche des Busses. Silke Rehbach, eine Erzieherin aus Frankfurt am Main, weiß dagegen ganz genau, wie sehr die Kinder das Thema Trennung von Kirche und Staat schon betrifft. «In Deutschland ist es kaum möglich, ein Kind wertneutral zu erziehen. Viel zu viele Kindergärten sind in kirchlicher Trägerschaft. Die Indoktrination findet da direkt statt - ich will aber lieber, dass aus den Kindern Freidenker werden.» Deshalb ist sie dafür, dass die Mittel der Kirchen gekürzt oder lieber gleich ganz gestrichen werden. «Das Geld wäre bei den Kindern direkt viel besser aufgehoben. Davon abgesehen ist es echt schwer als Erwachsener seinen erlernten Glauben wieder abzulegen.»
Tatjana Wolf stimmt der Pädagogin zu. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn, der den Bus zufällig entdeckt hat, am Infostand vorbeigekommen: «Es ist schon seltsam, man darf in Deutschland erst mit 18 wählen. Den Glauben bekommt man jedoch schon als Baby übergestülpt.» Im Informationsheft der säkularen Buskampagne lernt sie noch etwas dazu: «Ich habe mir schon gedacht, dass der Vatikan mit Talern ganz gut ausgestattet ist. Dass es aber auch unsere deutschen Kirchen sind, die immer jammern, macht mich schon stutzig.» Im Zusammenhang mit der politischen Einmischung der Kirchen sieht sie darin ein echtes Problem. Dann muss sie aber mit ihrem Sohn weiter, das Informationsheft nimmt sie mit.
Es sind genau diese spontanen Begegnungen, welche die Wirksamkeit der säkularen Buskampagne belegen, sagt der frühere Musiker Michael Schmidt-Salomon, der neben seiner Vorstandstätigkeit für die Stiftung Philosoph und Schriftsteller ist. Und prompt geht es weiter. Ein Mann kommt vorbei, der sich als Olaf Ohmer vorstellt. Er wedelt mit einem 10-Euro-Schein, den er der Buskampagne spenden will. Warum? Er hält das Arbeitsrecht der Kirchen für falsch. «Warum sollte für eine Krankenschwester in einem kirchlichen Krankenhaus nicht das allgemeine Arbeitsrecht gelten? Schließlich wird sie ja nicht an ihrer Religion, sondern an ihrer fachlichen Leistung gemessen», schnauft er und zieht weiter.
Mittlerweile ist es 17:30 Uhr, der Frankfurter Rathenauplatz leert sich, und auch die AktivistInnen der säkularen Buskampagne bauen ihre Zelte ab. Morgen gehen schon früh die Räder nach Nürnberg rund. Eine mindestens vierstündige Fahrt im ratternden Bus steht ihnen bevor. Für Michael Schmidt-Salomon ist aber noch nicht Schluss. Wie fast an jedem Abend der Tour hält er auch heute einen Vortrag. Wie er das durchhält? «Ach ich habe von meiner Musikerzeit noch Tourerfahrung», lacht er. «Und dann ist da ja noch die Überzeugung!»
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