Nach der Schlappe beginnt die Ursachenforschung

Die LINKE in Deutschland musste bei der Europawahl herbe Verluste hinnehmen. In vielen anderen EU-Ländern sieht es ähnlich aus

Gerade junge Wählerinnen und Wähler scheinen eher die Grünen als linke und gesellschaftsverändernde Kraft wahrzunehmen. Dagegen konnte die LINKE mit ihren Vorschlägen für eine neue, eine soziale und ökologische EU kaum punkten. Bei erheblich stärkerer Wahlbeteiligung - sie stieg von 48 Prozent bei der letzten Wahl zum EU-Parlament 2014 auf 61,4 Prozent - verlor sie sogar in absoluten Zahlen.

2,056 Millionen Menschen votierten für die Linkspartei und damit 112 000 weniger als vor fünf Jahren. Mit 5,5 Prozent fuhr die LINKE damit das schlechteste Ergebnis seit ihrer Gründung 2007 bei einer Europawahl ein. Gegenüber der Europawahl 2014 verlor die LINKE 1,9 Prozentpunkte und wird damit nur noch fünf statt wie bisher sieben Abgeordnete der Gruppe «Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) stellen.

Auch die meisten anderen GUE/NGL-Parteien mussten zum Teil deutliche Verluste hinnehmen. Insgesamt kommt die EP-Linksfraktion nach der Abstimmung am Sonntag nur noch auf 5,2 Prozent bzw. 39 Sitze. Das entspricht einem Minus von 13 Sitzen.

In Deutschland müsste der LINKEN vor allem die Tatsache zu denken geben, dass sie - wie bereits bei der Bundestagswahl 2017 - im Osten teilweise dramatische Einbußen erlitt. Am stärksten waren sie in den beiden Flächenländern, in denen sie an der Regierung beteiligt ist. Gegenüber der vorigen EU-Wahl verlor die LINKE in Thüringen, wo sie im Bündnis mit SPD und Grünen sogar den Ministerpräsidenten stellt, 8,7 Prozentpunkte. Das ist der größte Einbruch im Ländervergleich. Zugleich aber hat die Partei im Freistaat mit 13,8 Prozent trotzdem noch den höchsten Stimmenanteil. Erheblich war der Verlust für die LINKE auch in Brandenburg, wo sie seit mittlerweile knapp zehn Jahren Juniorpartnerin der SPD ist.

Spitzenpolitiker der LINKEN versuchten am Montag eine erste Einschätzung, warum die Partei mit ihren Themen nicht durchdringen konnte. Die LINKE-Vorsitzende Katja Kipping führte das schlechte Ergebnis ihrer Partei insbesondere darauf zurück, dass »die Europawahl die Stunde der kleinen Parteien« sei, da es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. In Bezug auf die Klimapolitik konstatierte Kipping, ihre Partei werde offenbar mit ihren »guten Konzepten noch nicht genug wahrgenommen«. In einer Erklärung schlug sie den Genossen am Montag vor, einen »Fahrplan« für die strategische und personelle Aufstellung der Partei zu erarbeiten und mit verschiedenen Akteuren ins Gespräch darüber zu kommen, wie eine politische Wende nach links aussehen könnte. Weiter spricht sich die Vorsitzende Kipping für eine »Gesprächs- und Demokratisierungsoffensive« in der LINKEN aus. Die Entscheidung, ob die Partei Teil einer Linksregierung im Bund werden solle, dürfe »nicht allein von einigen Funktionären getroffen werden«.

Kipping teilte in ihrer Erklärung auch mit, sie werde nicht für den Fraktionsvorsitz kandidieren. Die LINKE im Bundestag wählt im Juni eine neue Fraktionsspitze. Die Wahl, die regulär im Herbst stattgefunden hätte, wurde vorgezogen, nachdem Ko-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht im März angekündigt hatte, nicht mehr für das Amt zu kandidieren. Kipping betonte, sie wolle sich ihrer Aufgabe als Parteivorsitzende »mit aller Kraft widmen« und sich »darauf konzentrieren, die LINKE für die Zeit nach der GroKo aufzustellen und den Kampf um neue linke Mehrheiten aufzunehmen«. Die Amtszeit von Kipping und dem Ko-Vorsitzenden Bernd Riexinger endet im kommenden Jahr. Vermutlich werden beide nicht erneut antreten, da sie dann bereits acht Jahre im Amt sein werden. Mit Blick auf die Fraktion sprach sich die Parteichefin für eine neue Doppelspitze aus. Der frühere Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi hatte vorgeschlagen, Dietmar Bartsch die Fraktion vorübergehend allein führen zu lassen.

Gysi, der seit Dezember 2016 Präsident der Europäischen Linken (EL) ist, äußerte sich ebenfalls zum Ergebnis der Wahl am Sonntag. Der Linken sei es »viel zu wenig gelungen, die soziale Frage mit der Klimafrage zu verbinden«, erklärte er. Daraus müsse sie lernen. Zudem brauche sie »in wichtigen Fragen endlich ein einheitliches Bild«.

Sahra Wagenknecht mahnte, die LINKE müsse sich fragen, warum sie trotz des Absturzes der SPD von noch weniger Menschen als vor fünf Jahren als »glaubwürdige Kraft und wählbare soziale Alternative« wahrgenommen werden. Nötig sei eine »ehrliche Diskussion über unsere politische Strategie«, schrieb die scheidende Fraktionschefin ihrer Partei ins Stammbuch.

Viele Linke scheinen derweil mit dem gegenüber der EU eher affirmativen Profil der Linkspartei zu hadern und sich mehr grundsätzliche Kritik an den EU-Institutionen von ihr zu wünschen. Ein Indiz dafür ist der enorme Zuwachs für die EU-kritische Satirepartei Die PARTEI. Sie verdreifachte ihr prozentuales Ergebnis gegenüber der letzten Europawahl auf 2,4 Prozent und gewann 714 000 Stimmen hinzu.

Ein Faktor bei der Wahl dürfte auch das Erscheinungsbild der Grünen sein. Bei den unter 30-Jährigen sind sie mit 29 Prozent stärkste Kraft geworden. Dies, obwohl sie in Landesregierungen wie auch 1998 bis 2005 im Bund gezeigt haben, dass sie keineswegs eine sozialliberal-ökologische Politik machen, sondern im Zweifel eine dem Dogma der schwarzen Null untergeordnete. Und dass Flughafenerweiterungen und Neubau von Kohlekraftwerken für sie kein Problem sind. Gleichwohl haben sich die Grünen-Spitzenkandidaten zur Europawahl, Ska Keller und Sven Giegold, als engagierte Gegner der unmenschlichen EU-Flüchtlingspolitik, von Steuerflucht und »Freihandel« für Konzerne profiliert. Eine vergleichbare Präsenz bei diesen Themen hat die LINKE im EU-Parlament bislang nicht aufzuweisen.

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