• Berlin
  • Penthaus à la Parasit

Aneignung von Oben

Dachbesetzung in Neukölln thematisiert Wohnungsnot - und lädt zur Utopie einer anderen Stadt ein

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Dieser Weitblick ist wirklich ein Privileg«, sagt Jakob Wirth während er das kleine Fenster über seinem Bett öffnet und mit einer stolzen Handbewegung über die Dächer Neuköllns zeigt. »Und dennoch ist es prekär.« Der 27-jährige gebürtige Nürnberger hat die Berliner Wohnungsnot bereits selbst zu spüren bekommen. Vor etwa einem halben Jahr ist er nach Berlin gezogen. Alle paar Wochen musste er seitdem umziehen. »Bezahlbaren Wohnraum zu finden, das ist in dieser Stadt fast unmöglich«, sagt der Kunststudent und schaut nachdenklich über die Dächer Richtung Süden.

Der Verdrängungslogik des Wohnungsmarktes wolle er nun aber mit dem »Penthaus à la Parasit«, wie er das Projekt humorvoll nennt, etwas entgegensetzen. Statt in die Peripherie der Stadt vertrieben zu werden, hat Wirth zusammen mit einem Freund eine kleine Behausung auf das Dach eines Neuköllner Mietshauses gebaut.

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Die ist im Gegensatz zu einem gewöhnlichen, meist exklusiven und luxuriösen Penthouse, klein und reduziert: etwa 1000 Euro hat das Neuköllner »Penthaus« gekostet. Es besteht aus einem Bausatz, dessen Einzelteile - wie Wirth versichert - durch jede noch so kleine Dachluke passen. In nur vier Stunden könne es auf- und auch wieder abgebaut werden. In fertigem Zustand misst es dann 3,7 Quadratmeter und ist mit einem Bett, einem Schreibtisch und einer Miniküche ausgestattet. Es gibt einen kleinen Gasherd, Wasser wird in Kanistern auf das Dach gebracht. Über Sanitäranlagen verfügt das »Penthaus« bisher nicht. Dafür gibt es WLAN und auch ein Briefkasten hängt an der Tür. »Wir wollen ja für die Hausverwaltung ansprechbar sein«, erklärt Wirth.

Zwar sei ihm bewusst, dass das Penthaus - genauso wenig wie sein luxuriöses Pendant - keine wirkliche Alternative für die strukturelle Wohnungsnot in Berlin eröffne. »Es fordert jedoch ein Recht auf Stadt, ein Recht auf Zentralität und Freiraum, ein Recht auf Weitblick für Alle.« Mit dem »Penthaus à la Parasit« soll so eine Imagination erzeugt werden, in der die Stadtbewohnenden ihre Handlungskraft zurückgewonnen haben, so Wirth. Wie ein Parasit suche das Penthaus dabei eine Nische im System. Die verspiegelte Fassade soll sich in die Umgebung des Wirts integrieren. Bewohnbarer Lebensraum soll auch dort geschaffen werden, wo bislang keiner ist, oder keiner sein darf.

»Parasiten sind zunächst von ihrem Wirt abhängig. Werden sie viele, können sie aber selbst den überlegensten Wirt bezwingen«, erklärt Wirth. Daneben gebe es auch Parasiten und Wirte, die in harmonischer Koexistenz leben. Gleich zwei hoffnungsvolle Analogien für die Zukunft der Stadt. Gegenwärtig bleibt das »Penthaus à la Parasit« allerdings prekär und unbeständig. »Wenn wir geräumt werden, tauchen wir hoffentlich auf einem anderen Dach wieder auf«, sagt Wirth. »Vielleicht wird das eine neue Bewegung.«

Die erste Woche will er selbst im »Penthaus« wohnen. Auch um dessen Sicherheit zu testen. Danach soll es aber auch von anderen genutzt werden. Interessierte können sich ab sofort unter penthaus_a_la_parasit@posteo.de bewerben.

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