- Politik
- Regenbogenfamilien
Ehe für alle, Familie für manche
Constanze Körner über Schwächen der geplanten Änderungen des Abstammungsrechts
Frau Körner, was bedeuten die aktuellen Vorschläge des Bundesjustizministeriums für die Regenbogenfamilien?
Der aktuelle Diskussionsentwurf sieht vor, dass eine Frau, die mit ihrer Partnerin durch reproduktive Maßnahmen [z.B. künstliche Befruchtung, Anm. d. Red.] ein Kind bekommt, bereits vor der Geburt als zweite Mutter eingetragen wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Samenspender sein Recht auf Vaterschaft aufgibt.
Was würde mit denjenigen lesbischen Paaren passieren, die sich für einen privaten Samenspender entscheiden?
Bei denen würde alles bleiben wie bisher: Aktuell muss die andere Mutter das Kind per Stiefkindadoption adoptieren - nach der Geburt. Das bedeutet nicht nur einen hohen bürokratischen Aufwand, sondern massive Unsicherheiten für die Familie. Aus meiner Beratungsarbeit sind mir einige Fälle bekannt, in denen das Gericht die zweite Mutterschaft nach der Geburt nicht anerkannte, weil der Spender seine Meinung geändert und trotz anderslautender Willenserklärung plötzlich Vatergefühle entwickelt hat. Wir brauchen dringend Möglichkeiten, die Elternschaft vor der Zeugung klar und rechtlich bindend zu regeln - und zwar auch für die Fälle mit privater Samenspende.
Wie viele lesbische Paare greifen aktuell auf eine private Samenspende zurück?
Unserer Erfahrung nach entscheiden sich etwa 40 Prozent der Frauenpaare für private Spender. Dafür gibt es viele Gründe: Einerseits ist es je nach Wohnort teilweise schwierig, Ärzt*innen zu finden, die Frauenpaaren assistieren. Mediziner*innen dürfen das nämlich aus Gewissensgründen ablehnen. Es gibt darum einen regelrechten Reproduktionsmedizintourismus in Richtung Berlin und anderer Großstädte, aber auch ins Ausland, wie nach Dänemark oder in die Niederlande.
Das können sich nicht alle leisten.
Richtig, Kinderwunschbehandlung ist sehr teuer. Zuletzt ist eine reproduktive Maßnahme auch ein krasser Eingriff in den Körper. Der Entwurf würde also Frauen, die das gar nicht bräuchten, zwingen, sich Hormonbehandlungen auszusetzen, um auf einem rechtlich abgesicherten Weg eine Familie zu gründen! Abgesehen davon wünschen sich viele Paare auch, dass der Vater einen Namen hat und ein Teil der Familie ist. Nach Gesprächen mit Kolleg*innen in bundesweiten Beratungsstellen für Regenbogenfamilien würde ich sagen, dass es insgesamt ein Nord-Süd-Gefälle gibt: In Süddeutschland neigen Frauenpaare eher dazu, einen ihnen bekannten Samenspender auszusuchen.
Der Entwurf sieht ausdrücklich vor, dass das Zwei-Eltern-Prinzip unangetastet bleiben wird. Damit muss also immer mindestens eine beteiligte Person - sei es die zweite Mutter, sei es der Samenspender - das Recht auf die Elternschaft aufgeben.
Auch das sehen wir als Manko in dem Entwurf. Es gibt in der Realität eine Vielfalt von Familiemodellen, nicht zuletzt Mehrelternschaften. Schwule Paare ziehen zusammen mit ihren lesbischen Freundinnen Kinder groß oder es entscheiden sich generell mehr als zwei Personen, gemeinsam Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Dazu kommen die Väterfamilien. Für all diese Konstellation fordern wir klare und rechtlich bindende Regelungen. Unser Fokus liegt aber auf Mütterfamilien, nicht zuletzt, da sie über 90 Prozent der Regenbogenfamilien ausmachen.
Im Entwurf heißt es: »Mutter des Kindes soll wie bisher die Frau sein, die das Kind geboren hat.« Das schließt Trans*-Männer aus, die Kinder gebären.
Trans*- und Inter*-Eltern werden leider gar nicht mitbedacht, dabei gibt es hier dringend Änderungsbedarf. In Paragraf 1591 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) steht, dass eine Person, die ein Kind gebärt, Mutter ist. Das führt dazu, dass Trans*-Männer, die Kinder gebären, in der Geburtsurkunde unter ihrem toten Namen als Mutter eingetragen werden. Das heteronormativ geprägte Familien- und Abstammungsrecht schaltet also andere Rechte auf geschlechtliche Selbstbestimmung aus! Dabei gibt es längst Formulare, wie Geburtsurkunden, in denen nicht von »Mutter« und »Vater«, sondern von »Eltern« die Rede ist. Es geht also. Doch damit diese konsequent Anwendung finden, muss sich die Definition im BGB ändern.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir begrüßen, dass das Thema durch den Entwurf in der Diskussion bleibt - hoffentlich auch, nachdem Katarina Barley nicht mehr Justizministerin ist. Neben ihrem gibt es zum Glück bereits einen Gesetzesentwurf der Grünen. Viele glauben, dass der Kampf um Gleichstellung mit der Einführung der Ehe für alle erledigt ist. Aber soweit sind wir noch lange nicht.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!