Singend durch die Nacht
Jürgen Klopp gewinnt als fünfter deutscher Trainer die Königsklasse im Europäischen Fußball
Am frühen Morgen nach dem Champions-League-Endspiel sangen sie wieder zusammen. Jürgen Klopp, sein Freund Campino von der Rockband »Die Toten Hosen« und eine Menge Fans des FC Liverpool. Der große Unterschied zu dem mittlerweile berühmten Video von 2018 war nur: Diesmal hielt Klopp dabei die begehrteste Trophäe des Vereinsfußballs in der Hand. Im dritten Anlauf hat der deutsche Trainer zum ersten Mal die Champions League gewonnen.
»Das ist die beste Nacht meines Berufslebens«, sagte Klopp noch im Stadion von Madrid. Für ihn persönlich und auch für das vom ihm nach seinen Überzeugungen geformte Team war der 2:0-Finalsieg gegen Tottenham Hotspur die Krönung einer herausragenden, aber bislang eben noch unvollendeten Entwicklung.
Zwei vergleichbare Endspiele hatte der FC Liverpool zuvor verloren. Nach dem 1:3 gegen Real Madrid vor einem Jahr war das erste, von Trotz geprägte Video mit Campino überhaupt entstanden. Auch in der englischen Meisterschaft wurden die Reds mit unglaublichen 97 Punkten zuletzt nur Zweiter hinter Manchester City. Jetzt ist der lang ersehnte Titel endlich da.
»Ohne diesen Trainer wäre das unmöglich gewesen«, sagte Jordan Henderson, der stolze Kapitän des FC Liverpool, der in den Armen von Jürgen Klopp weinte wie ein kleines Kind. Auch das ist eines der Bilder dieses Triumphs. Ein anderes ist, wie alle Stars des neuen Champions-League-Siegers ihren Trainer vor mehr als 15 000 feiernden Liverpool-Fans durch die Luft werfen. »Ich denke, wir haben das mehr verdient als jedes andere Team«, meinte Trent Alexander-Arnold. Und: »Er hat einen solchen Zusammenhalt in der Kabine geschaffen. Alles Lob geht an diesen Coach«, sagte Henderson noch einmal über Klopp.
Der 51-Jährige selbst hatte es immer von sich gewiesen, dass es in diesem Endspiel auch um seinen persönlichen Triumph ginge. Es hat ihn aber auch genervt, dass die sechs Endspielniederlagen mit Borussia Dortmund und Liverpool seine Wahrnehmung als Trainer viel mehr prägten, als das nach einem Bundesligaaufstieg mit Mainz 05 und zwei deutschen Meisterschaften mit dem BVB angemessen gewesen wäre.
Jetzt zweifelt niemand mehr daran, dass er nicht nur große Mannschaften aufbauen, sondern auch große Spiele gewinnen kann. Als Champions-League-Sieger steht Klopp in Deutschland jetzt quasi auch amtlich auf einer Stufe mit Jupp Heynckes und Ottmar Hitzfeld.
»Mein Leben ist deutlich besser, als ich das jemals erwartet hatte«, sagte Klopp. »Ich habe so viele Silbermedaillen. Jetzt habe ich eine Goldmedaille. Für uns ist es wirklich wichtig, dass die Leute jetzt nicht mehr die ganze Zeit fragen, ob wir etwas gewinnen oder nicht.«
In der Nacht nach den beiden Toren von Mohamed Salah (2./Handelfmeter) und Divock Origi (87.) besetzte der »König von Liverpool« dann auch gleich mehrere Rollen. Eine seiner besten ist immer noch die des Entertainers, also sang Klopp in Madrid nicht nur mit Campino, sondern auch in einem Interview des früheren Bundesliga-Stürmers Jan Age Fjörtoft. Sein Text lautete: »Let’s talk about six, Baby!« und war in leichter Abwandlung eines 90er-Jahre-Hits auf den insgesamt sechsten Erfolg seines Vereins in Europas Fußball-Königsklasse gemünzt.
Klopp gab dazu aber noch den fairen Sportsmann: »Ich weiß vielleicht besser als jeder andere, wie Tottenham sich jetzt fühlt.« Kurz darauf war er der nachdenkliche Genießer und später der ehrgeizigen Entwickler. Mehrere hunderttausend Fans empfingen sein Team am Sonntag dann in Liverpool zu einer großen Siegesparty. Klopp wusste da schon, dass er »erst noch etwas älter werden« müsse, um das alles zu verarbeiten. Gleichzeitig sagte er aber auch: »Diese Gruppe ist immer noch am Anfang. Das ist ein Team in einem wundervollen Alter. Die haben die beste Zeit ihrer Karriere immer noch vor sich.«
Wenn Klopp weiterhin in diesem Tempo Spieler wie Mohamed Salah oder Virgil van Dijk weiterentwickelt oder Personalentscheidungen wie den Torwartwechsel von Loris Karius zu Alisson Becker so konsequent durchzieht, dann könnte diesem Triumph irgendwann auch noch die erste englische Meisterschaft für den traditionsreichen Liverpool FC seit 1990 folgen.
»Ich hatte gerade Pep Guardiola am Telefon«, sagte Klopp am Samstagabend über den Trainer des großen Rivalen Manchester City. »Wir haben uns versprochen, uns auch nächste Saison wieder gegenseitig in den Hintern zu treten.« dpa/nd
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