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Ein Problem names Storchennest
In Tschechien nehmen Proteste gegen die Regierung zu - EU sieht Interessenkonflikt bei Babiš
Der Druck auf den tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš nimmt zu. 120 000 Bürger hatten sich am Dienstagabend auf dem Prager Wenzelsplatz versammelt, um gegen den Premier und seine Justizministerin Marie Benešová zu demonstrieren. Die Protestierenden befürchten, Benešová könnte in ihrem Amt Druck auf die gegen Babiš ermittelnde Staatsanwaltschaft ausüben. Die prüft nämlich derzeit, inwieweit ein Interessenskonflikt zwischen dem Unternehmer und dem Politiker Babiš besteht, der Fördergelder in Millionenhöhe veruntreut haben soll.
Die Demonstranten trugen Spruchbänder und Plakate mit sich, auf denen »Babiš ins Gefängnis« und »Rücktritt von Babiš und Benešová« geschrieben stand. Auf vielen Transparenten wurde auch der Rücktritt des Staatspräsidenten Miloš Zeman gefordert. Nur dessen Rückendeckung sei es zu verdanken, dass der Regierungschef noch im Amt sei, so die Meinung der demonstrierenden Bürger.
Die Proteste haben inzwischen eine neue Qualität erreicht. Nicht nur auf der Straße, sondern auch im Abgeordnetenhaus wurde die »Causa Babiš« aufgerufen. In der vergangenen Woche hatten tschechische Medien einen internen Bericht des EU-Rechnungshofes zitiert. Danach habe es einen vehementen Interessenskonflikt zwischen dem Unternehmer Babiš und seiner Funktion als Regierungschef gegeben. Obwohl der Tycoon des Agrar- und Medienimperiums Agrofert das Unternehmen 2017 an eine Holding übergeben musste, habe er sich noch aktiv am Geschäftsleben beteiligt. Erhebliche Subventionen seien an Agrofert-Betriebe geflossen, der EU-Bericht nennt eine Zahl von 17,4 Millionen Euro. Brüssel erwägt nun eine Rückzahlung der Unterstützung.
In den Vorwürfen geht es aber längst nicht mehr nur um das Spa »Storchennest«. Hier hatte die europäische Antibetrugsbehörde OLAF eine Veruntreuung von Fördergeldern in Höhe von 54 Millionen Kronen (zwei Millionen Euro) festgestellt. Auch weitere Teile des Firmenimperiums sollen, so die Brüsseler Rechnungsprüfer, mit EU-Fördergeldern subventioniert worden sein. Dies verstieße jedoch klar gegen die Regeln, denn die Förderungen sind für die Entwicklung kleiner und mittelständischer Unternehmen gedacht, nicht für multinationale Konzerne, wie Agrofert einer darstellt. Kein Wunder, dass die Opposition von »desaströsen Informationen über den Interessenskonflikt des Premiers« sprach und sowohl politische als auch juristische Konsequenzen forderte.
Der Regierungschef selbst betont, er sehe keinen Grund, die Fördergelder zurückzuzahlen. Alles sei in Übereinstimmung mit tschechischem und EU-Recht verlaufen. In den Vorwürfen sehe er nur eine EU-Kampagne gegen sich und seine Regierung. Die Demonstrationen in den Städten bezeichnete der ANO-Chef als »politisch motivierte Stimmungsmache« von einer »Gruppe von Selbstdarstellern«.
Bei den EU-Wahlen konnte sich ANO erneut als stärkste politische Kraft durchsetzen. Allerdings ist die Zustimmung zu der einst als Protestpartei angetretenen Bewegung unzufriedener Bürger längst nicht mehr so hoch wie noch zu den Parlamentswahlen vom Oktober 2017.
Es wird sich zeigen, wie lange sich Andrej Babiš noch in der Funktion des Regierungschefs halten kann. Das Bündnis »Milion chvilek pro demokracii« (Millionen Augenblicke für die Demokratie) hat eine Fortsetzung der Proteste angekündigt.
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